Süddeutsche Zeitung

Reformpaket:Erdoğan bewahrt türkisches Marschtempo

Zwei Schritte vor, einen zurück: Mit dem "Demokratiepaket" geht der türkische Premier Erdoğan auf seine religiöse Klientel, aber auch auf Christen und Kurden zu. Doch hohe Strafen für "Hassreden" bergen Gefahr.

Ein Kommentar von Christiane Schlötzer, Istanbul

Der türkische Regierungschef hatte versprochen, er werde mit neuem Reformeifer alle überraschen. Damit hatte Recep Tayyip Erdoğan hohe Erwartungen geweckt.

Nun zeigt er mit der Enthüllung seines lange geheim gehaltenen "Demokratiepakets", woher in seinem Land der Veränderungsdruck kommt: Frauen dürfen künftig auch mit Kopftuch Beamtinnen werden - das verlangt Erdoğans religiöse Klientel seit Langem. Die Kurden bekommen ihre Privatschulen und ihre alten Ortsnamen zurück, die Christen ein historisches Kloster. Auch für die Gezi-Bewegung gibt es etwas: Demonstrationen müssen nicht mehr bei Sonnenuntergang enden.

Abschaffung des militaristischen Schülereids von 1933

Die Türkische Republik wird nicht untergehen, wenn Finanzinspektorinnen und Krankenschwestern Kopftuch tragen dürfen. Auch viele Gezi-Protestler fanden das Kopftuchverbot verzichtbar. Die Reform des Parteiengesetzes und die Senkung der Zehn-Prozent-Hürde im Parlament können sogar echten demokratischen Fortschritt bringen. Die Abschaffung des militaristischen Schülereids aus dem Jahr 1933 geht in dieselbe positive Richtung.

Das alte türkische Marschtempo - zwei Schritte voran, einen zurück - hat Erdoğan aber nicht aufgegeben. So werden die Haftstrafen für "Hassreden" auf drei Jahre erhöht. Dieses Gesetz ist so weit gefasst, dass es der Meinungsfreiheit neuen Schaden zufügen könnte.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2013
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