Süddeutsche Zeitung

Rechte Gewalt:Jetzt wirklich

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Acht Jahre nach der Enttarnung des NSU nehmen die Sicherheitsbehörden einen neuen Anlauf zur Bekämpfung rechtsextremer Verbrechen. Es geht um ein altes Versprechen.

Von Florian Flade und Ronen Steinke, Berlin

Alles sollte anders werden damals, als die Terrorzelle NSU sich 2011 selbst enttarnt hatte. In den Sicherheitsbehörden wurden reihenweise Leute hinausgeworfen, es wurden ganz neue Regeln geschrieben, nie wieder sollte das Wüten einer solchen Bande jahrelang übersehen werden, so der Schwur. Auch sollte der Rechtsterrorismus nie wieder aus dem Blick geraten vor lauter Aufmerksamkeit für das alles dominierende Thema Islamismus. Am 4. November 2011 waren in Eisenach aus einem Wohnmobil Flammen aufgestiegen, die Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hatten Suizid begangen, in Redaktionen trafen ihre Bekenner-DVDs ein. Die NSU-Gruppe prahlte: Jahrelang hatte sie gemordet. Nie war sie entdeckt worden.

Heute fragt sich, was geworden ist aus dem Aufbruch damals. Von dem 2012 eigens eingerichteten, bundesweiten Neonazi-Abwehrzentrum in Köln hört man nicht viel, auch die neuen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden gegen Rechtsextreme machten lange nicht von sich reden. Jetzt, nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, soll wieder alles anders werden. 2012 hatte Angela Merkel den Hinterbliebenen der NSU-Opfer versprochen, "alles in den Möglichkeiten unseres Rechtsstaates Stehende zu tun, damit sich so etwas nie wiederholen kann". Jetzt, diesmal wirklich, will die Bundesregierung das Versprechen einlösen. Drei Bereiche sind dabei involviert: das Bundeskriminalamt (BKA), das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und der Militärische Abschirmdienst (MAD).

Der Militärische Abschirmdienst soll Bundeswehrsoldaten kritischer beäugen

Die Ermittler des BKA wollen mehrere neue Staatsschutzreferate allein für rechte Gewalt und Internethetze gründen. So lautet der Plan, den das BKA selbst entworfen und dem Innenminister Horst Seehofer (CSU) gerade "uneingeschränkte" Unterstützung zugesagt hat. 440 zusätzliche Stellen brauche man dafür. Das BKA, das insgesamt bald 7000 Mitarbeiter zählt, will mit den neuen Ermittlern eine "Zentralstelle für die Bekämpfung von Hasskriminalität" einrichten. Sie soll strafbare Äußerungen bei Facebook oder Twitter erfassen und an die Staatsanwaltschaften weiterleiten. Außerdem sollen die neuen Ermittler es den Kollegen gleichtun, die bisher gegen Dschihadisten vorgehen: Geplant ist, die Gefährlichkeit von Neonazis nach einem ähnlichen, wissenschaftlich fundierten System zu bewerten, wie es bisher schon bei islamistischen Gefährdern angewandt wird, genannt Radar.

Beim Rechtsextremismus "genauer hinschauen" soll auch das Bundesamt für Verfassungsschutz. BfV-Präsident Thomas Haldenwang will die Zahl der bislang etwa 210 Mitarbeiter seiner für Rechtsextremismus und -terrorismus zuständigen Abteilung 2 bis Jahresende auf mehr als 300 aufstocken. Die BfV-Agenten sollen sich künftig stärker auf rechtsextreme Einzeltäter konzentrieren, nicht mehr nur auf Organisationen, Vereine oder Parteien, so steht es in einem Konzept für die neue Strategie gegen rechts beim Inlandsgeheimdienst. Dafür sollen auch Internetaktivitäten stärker überwacht werden, unter anderem mit "virtuellen Agenten", also Beamten, die inkognito in rechten Chatgruppen und Foren mitmachen. Zudem will der Verfassungsschutz eine neue "Zentralstelle" einrichten - zur Identifizierung von Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst. Dabei will man eng mit dem Bundeswehr-Geheimdienst MAD kooperieren.

Beim MAD schließlich steht der vielleicht gründlichste Umbau an. Im Kern geht es darum, dass der Dienst mehr kritische Distanz zur Truppe entwickeln soll. Im MAD mit seinen nur knapp 1200 Mitarbeitern arbeiten traditionell großteils Bundeswehroffiziere, die über ihre eigenen Kameraden wachen. Zu oft würden deren Bewertungen extremistischer Umtriebe nachsichtig bis lasch ausfallen, hatte kürzlich der Geheimdienstbeauftragte des Bundestages, Arne Schlatmann, nach einer monatelangen Überprüfung von MAD-Akten im Parlamentarischen Kontrollgremium bemängelt. Nun soll der Geheimdienst durch etwa 400 zivile Mitarbeiter ohne Bundeswehrhintergrund verstärkt werden. Für den neu geschaffenen Posten eines zivilen MAD-Vizepräsidenten wird der erfahrene BfV-Abteilungsleiter Burkhard Even geholt.

In Zukunft soll außerdem im Verteidigungsministerium eine eigene "Koordinierungsstelle Rechtsextremismus" darüber wachen, dass Hinweise des MAD auf Rechtsextremismus unter Soldaten auch wirklich disziplinarische Folgen haben. Auch soll der MAD in der Truppe öfter und früher Verwarnungen aussprechen. Nicht erst bei gerichtsfest nachweisbarem Extremismus, sondern schon bei kleineren Hinweisen auf "fehlende Verfassungstreue" - "Alarmstufe orange" heißt dies in einem internen Papier - wolle man Soldaten zum Gespräch bitten. Nicht zuletzt sollen die Regeln für Soldaten verschärft werden. Galt bisher eine Art Probezeit von vier Jahren, in der sie bei extremistischen Sprüchen vereinfacht entlassen werden konnten, will das Verteidigungsministerium die Frist auf acht Jahre verlängern.

Im Neonazi-Abwehrzentrum in Köln schließlich wollen sich die verschiedenen Behörden öfter treffen. Nicht mehr nur gelegentlich will man sich dort austauschen, sondern täglich. Der größte Unterschied zu den Beamten, die parallel dazu im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum in Berlin-Treptow über Dschihadisten wachen: Beim Dschihadismus gibt es oft gute Hinweise aus dem Ausland. Bei rechtem Terror sind hiesige Behörden oft auf sich alleine gestellt.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2019
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