Süddeutsche Zeitung

Ramelow in Israel:Angekommen im Amt 

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Seine erste Auslandsreise führt Thüringens linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow nach Israel. Ausgerechnet dahin? Eindrücke von einem ziemlich logischen Besuch.

Von Cornelius Pollmer, Tel Aviv

Bodo Ramelow ist im Geiste der Versöhnung in diesen Kibbuz gereist, er hat den Kindern eine Wippe übergeben und einen Granatapfelbaum gepflanzt, doch was ist der Dank? Eine ziemlich deutliche Rücktrittsforderung. Ramelow sitzt in einem Flachbau, erste Reihe Mitte, vor ihm trippeln 30 Kinder in den Saal. Sie tragen glitzernde Zylinder, dazu blaue Fliegen, und sie singen für den Herrn Ministerpräsidenten ein fröhliches Lied. Der Inhalt, sinngemäß: Wir wollen Bürgermeister werden anstelle des Bürgermeisters und dann alles ändern!

Genau das hatten ein paar Ängstliche in Thüringen befürchtet, als Ramelow vor bald einem Jahr zum ersten linken Ministerpräsidenten Deutschlands gewählt wurde. Doch Ramelow und seine rot-rot-grüne Koalition haben dieses erste Jahr erstaunlich ungefährdet überstanden. Und wem noch ein Beleg dafür gefehlt hat, wie wenig das formal Revolutionäre im Konkreten auf die Person Ramelow zutrifft, der bekommt ihn hier in Israel. Was sein Ankommen im Amt betrifft, ist diese erste Auslandsreise Ramelows Meisterstück. Es glitzert nicht so schön wie die Zylinder der Kibbuz-Kinder, aber man darf es doch als gelungen bezeichnen.

Formal unterhält die Linkspartei ein mindestens ambivalentes Verhältnis zu Israel. In ihrer Wiege, der DDR, gehörte Antizionismus im Grunde zur Staatsräson. Konkret bemüht sich der westdeutsche Christ Ramelow seit Jahren um die Förderung jüdischen Lebens, nicht nur in seinem Bundesland. Er bereist in diesen Tagen weder Ramallah noch das Westjordanland, mit der trockenen Begründung, dass der Nahostkonflikt nicht Thema seines Besuchs sei. In dieser Sache sendet Ramelow nur ein paar schöne Grüße an die Parteifreunde zu Hause. Wenn es um Israel gehe, um Palästina und die Sphären des Konflikts, da sei ihm "das Karo mancher linken Debatte in Deutschland ein bisschen zu klein". Lieber verweist Ramelow darauf, dass die Landeshauptstadt Erfurt den Status Unesco-Welterbe explizit für ihr jüdisches Erbe anstrebt. Um diesen Versuch zu illustrieren, hat Ramelow sogar seine eigene Ringparabel mit nach Israel gebracht: Am Mittwoch übergibt er einem Museum in Tel Aviv die Replik eines Rings aus dem Jüdischen Schatz in Erfurt.

Formal besteht die Gefahr einer Politikerreise nach Israel auch darin, diese zu routiniert anzugehen oder der Komplexität deutsch-israelischer Beziehungen anderswie nicht gerecht zu werden, und sei es nur atmosphärisch. Es ist nämlich gerade wieder Delegations-Rush-Hour, das muss Ramelow schon bei seiner Ankunft am Sonntag in Tel Aviv feststellen. Der Botschafter empfängt ihn am Gepäckband und schnell ist man im Gespräch bei der Frage, wessen Koffer hier zur Zeit noch so aus dem Schlund gespuckt werden? Die von Vizekanzler Gabriel etwa, davor jene vom Regierenden Berliner Bürgermeister Müller und vom obersten Hessen Bouffier. Ramelow scherzt, dass eigentlich nur Frau Merkel fehle, dann könne man die nächste Ministerpräsidentenkonferenz gleich hier abhalten. Ein paar Meter weiter, im Empfangsschilderwald, ist dann erhöhte Aufmerksamkeit gefragt - Thüringen wirbt hier genauso um Ankommende wie die Delegation des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales.

Ergriffen von der Ergriffenheit: Manchmal neigt Ramelow zu Gauck'schen Momenten

Konkret lassen sich Komplexität und Bedeutung dieser Reise schon im Durcheinander der Gesichtszüge Ramelows ablesen. Immer wieder schwingt er seine Brauen zum Dach, in Blick und Mimik finden sich deutsche Last und deutsche Verantwortung, aber da ist auch der Stolz, hier zu sein und die Freude darüber. Die Schwierigkeit könnte nun eher darin liegen, dass es Ramelow ein wenig zu doll angeht. Er gab schließlich schon den Staatsmann, da war er noch Oppositionsführer im Erfurter Landtag. Und er neigt zu Gauck'schen Momenten, in denen er von seiner eigenen Ergriffenheit erst so richtig ergriffen ist.

Auch diese Sorgen sind unbegründet. Der Routine entgeht Ramelow in der Gedenkstätte Yad Vashem, als ihn Naftali Fürst zur Seite nimmt. Fürst, 83, hat Buchenwald überlebt, nun steht er vor einem weltbekannten Foto aus dem KZ. Er zeigt auf einen kleinen Jungen, zweite Pritsche von oben, rechts außen. "Das", sagt Fürst, er lächelt, pausiert, dann setzt er erneut an: "Das bin ich." Und das ist bei aller Contenance natürlich ein Moment zum Heulen. Ramelow verliert kurz die Fassung, Umstehende würgen Halsklöße herunter.

Den Ernst wiederum meidet Ramelow präzise da, wo er nicht nötig ist. Im Kibbuz testet der Ministerpräsident das von Thüringen spendierte Spielgerät mit einem Jungen aus dem Dorf, der Besuch gerät zur Wipp-Visite. Zuvor, im Gespräch mit Studenten der Universität in Haifa, bastelt Ramelow eine gar nicht mal so krude Verbindung von der Thüringer Provinz bis in den Norden des Karmelgebirges. Wer von Ihnen spielt Klavier?, fragt Ramelow in die Runde. Dann erzählt er von den Weltmarken Schimmel und Steinway, und davon, was diese mit Thüringen zu tun haben. Für ein Tasteninstrument braucht es Hämmer und "diese ganzen Filzhämmer kommen aus Meuselwitz, ich schwöre, die kommen aus Meuselwitz!" Über derlei Werbung freut sich nicht nur Meuselwitz im Schnaudertal, sondern auch der gewaltige Tross, den Ramelow bei sich weiß. 50 Menschen, darunter Wirtschaftsminister Tiefensee, viele Unternehmer. Der Linke, von dem einige wissen wollten, er würde bis zum letzten Ein-Mann-Betrieb alles verstaatlichen, ist hier auch auf Wirtschaftsreise.

Eine schöne Ironie dieser Tage hätte darin liegen können, dass sein Antagonist zeitgleich in den Nahen Osten aufgebrochen ist. Mike Mohring, Fraktionschef der CDU, ist nach Libanon gereist, um sich über die Situation der Flüchtlinge dort zu informieren. Für die Kontrahenten böte sich nun im Landtag demnächst Gelegenheit, einander mit frischer Expertise zu beschießen. Stattdessen, erzählt Ramelow, hätten Mohring und er sich schon auf einen Kaffee verabredet, um in aller Ruhe Erfahrungen auszutauschen.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2015
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