Süddeutsche Zeitung

Putschversuch in der Türkei:Türkische Imame sollen in Deutschland spioniert haben

Lesezeit: 3 min

Von Matthias Drobinski, München

Der Rohbau der Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld ist ein Sinnbild der Misere. Ein moderner, offener und transparenter Raum sollte am Sitz der Ditib entstehen, dem türkisch-islamischen Moscheeverein, ein Zeichen: Wir Muslime sind angekommen in Deutschland. Doch dann verkrachten sich die Ditib und die Architekten, und zu allem Unglück zeigten sich Risse in der Betonhaut der Moschee. Bis heute ist sie nicht eröffnet; Moderne, Offenheit und Transparenz, sie kränkeln. Wie das Verhältnis des größten islamischen Verbandes mit 970 Moscheen in Deutschland zu seiner deutschen Umgebung - mit einem Unterschied: In der Moschee werden die Risse gekittet. Die zwischen Ditib und dem Rest der Welt werden täglich tiefer, seit dem Putschversuch in der Türkei, seit Recep Tayyip Erdoğan, der Präsident, mit immer härterer Hand regiert. Sie sind inzwischen so tief, dass auch Politiker, die lange für die Zusammenarbeit mit dem türkisch-staatsnahen Verband plädierten, ihre Haltung überdenken.

Im Zentrum des Streits steht eine Spitzelaffäre. Im Dezember veröffentlichte die regierungskritische türkische Zeitung Cumhuriyet Mails und Dokumente, die belegten, dass offensichtlich mehrere Imame von Ditib-Moscheen Informationen über Anhänger und vermutete Anhänger des Predigers Fethullah Gülen gesammelt hatten; das Material landete bei einem Parlamentsausschuss in Ankara, der die Hintergründe des Putschversuchs aufklären soll. Die Imame der Ditib sind türkische Staatsbeamte und der Religionsbehörde Diyanet unterstellt. Sollten hier also Vertreter der türkischen Staatsmacht im Auftrag ihres Dienstherrn Menschen in Deutschland, gar deutsche Staatsbürger ausgespäht und zumindest indirekt zu Staatsfeinden erklärt haben?

Ditib sprach zunächst empört von "Unterstellungen". Wenig später hieß es, die "schwerwiegenden Vorwürfe" würden "sauber und transparent" untersucht. An diesem Mittwoch dann zitierte die Rheinische Post den Ditib-Generalsekretär Bekir Alboga: "Die schriftliche Anweisung des türkischen Religionspräsidiums Diyanet war nicht an die Ditib gerichtet. Trotzdem folgten dem einige wenige Ditib-Imame fälschlicherweise. Wir bedauern die Panne zutiefst und haben diesbezüglich auch mit Diyanet gesprochen." Am späten Donnerstagnachmittag wiederum dementierte Alboga per Pressemitteilung sein Bedauern: Der Verband habe "die schwerwiegenden Vorwürfe der Bespitzelung nicht bestätigt"; mit dem Wort "Panne" habe er nur gemeint, dass einige Imame die Direktiven aus Ankara "missverständlich ausgelegt" hätten. Selbstverständlich würden von den Imamen keine "Dienste außerhalb der religiösen Betreuung der Muslime erwartet".

Hatte Alboga einen Rüffel aus Ankara bekommen? Insider berichten, dass der Druck auf die Ditib aus der Türkei enorm ist - und die Ditib dem wenig entgegensetzen kann. Sie ist finanziell von der Religionsbehörde in Ankara abhängig, ihre Imame sind dort angestellt, und auch die rechtliche Unabhängigkeit, auf die die Ditib immer pocht, hat enge Grenzen. Der Präsident der Diyanet ist laut Satzung Ehrenvorsitzender der Ditib und Vorsitzender des mächtigen Beirats. Der türkische Staat bestimmt mittelbar, wer in Deutschland für die Ditib spricht. Der informelle Einfluss geht noch viel weiter: In Deutschland dürfte kein wichtiger Vorstandsposten einer Ditib-Moschee ohne ein Kopfnicken aus Ankara besetzt werden.

Das war auch schon so, als vor einigen Jahren die Diyanet dialogbereite und reformorientierte Moscheevorstände unterstützte - das ist erst recht jetzt so, wo die Reformer nicht mehr erwünscht sind. In Berlin ist vor Weihnachten der gesamte Vorstand der Sehitlik-Moschee in Neukölln zurückgetreten, offenbar auf den Druck des türkischen Generalkonsulats hin; die Moschee galt als beispielhaft für ihre Offenheit. Schon im Sommer wurde der hessische Landesvorsitzende Fuat Kurt abgewählt, der als offen für den Dialog galt.

"Es stellt sich wieder stärker die Frage, ob die Anbindung von Ditib an die Türkei noch ein Ausdruck religiöser Selbstbestimmung ist."

Der Ton in vielen Moscheegemeinden ist rau geworden: Fast 60 Prozent der Deutsch-Türken unterstützen Erdoğans autokratischen Kurs; viele Gülen-Anhänger verlassen die Gemeinden. Vor Weihnachten machten Ditib-Angehörige ans Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen im Netz Stimmung gegen das Christenfest und posteten ein Bild, auf dem ein muskulöser Muslim einem Weihnachtsmann einen Faustschlag verpasst. Einzelfälle - allerdings mit Symbolkraft.

Kann die Ditib da noch Partnerin des Staates sein, mitreden, wenn es um theologische Lehrstühle geht oder islamischen Religionsunterricht? Soll sie gar, wie in Nordrhein-Westfalen angestrebt, als Religionsgemeinschaft anerkannt werden? Die Zahl der Stimmen nimmt zu, die das bezweifeln. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte am Mittwoch, es stelle sich "wieder stärker die Frage, ob die Anbindung von Ditib an die Türkei noch ein Ausdruck religiöser Selbstbestimmung ist". Sollte die Antwort auf die Frage "Nein" heißen, dann wäre jede Anerkennung als Religionsgemeinschaft ausgeschlossen, die Partnerschaft beim Religionsunterricht oder der islamischen Theologie müsste enden. Kommende Woche soll sich der Bundestag mit der Spitzelaffäre befassen.

In einem Diyanet-Comic erklärt ein Vater seinem Sohn die Schönheit des Märtyrertodes

Nordrhein-Westfalens rot-grüne Regierung will vorerst weiter mit der Ditib kooperieren. Die von der Ditib angestrebte Anerkennung als Religionsgemeinschaft allerdings scheint auch hier in die Ferne zu rücken. Und bei einem Präventionsprojekt gegen Salafismus hat die Landesregierung die Zusammenarbeit ganz aufgekündigt: Die Diyanet hatte einen Comic herausgegeben, in dem ein Vater seinen Sohn über die Schönheit des Märtyrertodes aufklärt: "Märtyrer sind im Himmel so glücklich, dass sie zehnmal Märtyrer sein wollen." Die Stellungnahme der Ditib: Das waren nicht wir, das war die Diyanet. Das erschien Innenminister Ralf Jäger (SPD) dann doch arg schwach.

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SZ vom 14.01.2017
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