Süddeutsche Zeitung

Putin in Berlin:Merkel hält Russland Brutalität in Syrien vor

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Von Stefan Braun

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Mittwochabend erstmals seit vier Jahren Russlands Präsident Wladimir Putin in Berlin empfangen, um mit ihm und den Präsidenten Frankreichs und der Ukraine, François Hollande und Petro Poroschenko, über die Lage in der Ostukraine zu beraten. Anschließend wollten Merkel, Putin und Hollande über Syrien sprechen. Die Verhandlungen waren bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch im Gange.

Unmittelbar vor dem Treffen hatte Merkel angekündigt, in den Gesprächen würden "die Zustände und die Verantwortlichkeiten" für die verheerende Lage in Syrien "klar benannt werden". Im Gegensatz zur französischen Regierung hatte es ihr Sprecher Steffen Seibert vermieden, Moskau direkt als Kriegsverbrecher zu brandmarken. Aber er betonte, dass die Situation für die Menschen in Syrien inakzeptabel sei und eine Feuerpause von wenigen Stunden keinesfalls ausreichen werde, um die Lage zu verbessern. In Regierungskreisen wurde die kurze Feuerpause, angekündigt von Damaskus und Moskau, als "Zynismus" gegeißelt. Daran änderte die Tatsache wenig, dass Moskau diese unmittelbar vor dem Treffen von acht auf elf Stunden noch verlängerte. Seibert sagte, das reiche "keinesfalls aus, um die nötige humanitäre Hilfe leisten zu können".

Im Kanzleramt wurde die Waffenruhe vor allem als eine ultimative Aufforderung an die Zivilbevölkerung und oppositionelle Gruppen gesehen, alle umkämpften Gebiete verlassen, weil danach neue Angriffe folgen könnten. Laut Bundesregierung kann die Feuerpause nur ein "allererster Schritt" sein; entscheidender sei es, einen dauerhaften Waffenstillstand zu erzielen.

Eine kurze Waffenruhe Anfang September verpuffte

Genauso deutlich wollte Merkel am Abend auch die Debatte über die Lage in der Ostukraine führen. Seibert kündigte eine "schonungslose Analyse" an. Seit Monaten versuchen deutsche und französische Diplomaten vergeblich, in Fragen der Sicherheit und der politischen Entwicklung Fortschritte zu erzielen. Eine kurze Waffenruhe zu Beginn des neuen Schuljahrs Anfang September verpuffte ebenso wie das Bemühen, die ukrainische Seite zu politischem Entgegenkommen zu bewegen.

Nach wie vor fehlt im ukrainischen Parlament eine Mehrheit für die im Minsker Abkommen zugesagten Gesetze zum Sonderstatus der Ostukraine und zu Lokalwahlen in Luhansk und Donezk. Damit wirkt die Lage wie einbetoniert: Kiew verlangt absolute Ruhe an der Front, bevor es die Gesetze ändert; Moskau fordert Klarheit über die politische Zukunft der Region um Luhansk und Donezk, bevor es einem umfassenden Waffenstillstand zustimmt.

Ein interessantes Bild von der Lage an der ostukrainischen Front liefern die Berichte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die Beobachter der OSZE kommen zu dem Ergebnis, dass seit Wochen mehr als die Hälfte aller Waffenstillstandsverletzungen auf das Konto ukrainischer Verbände gehen, nicht auf das der Separatisten. Das könnte ein Grund dafür sein, dass auch das jüngste Abkommen vom 21. September kaum umgesetzt wird. Darin hatten sich alle Seiten verpflichtet, an drei sehr umkämpften Punkten alle schweren Waffen abzuziehen.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2016
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