Süddeutsche Zeitung

Profil:Juliana Lumumba

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Die Kongolesin kämpft um die Überreste des Vaters.

Von Bernd Dörries

"Das ist ein Schmerz, der nie verheilt", sagt Juliana Lumumba über den Tod ihres Vaters. Ein Schmerz, der mit den Jahren nicht geringer wurde. Auch weil es bis heute keinen Ort gibt, an dem sie des Vaters gedenken kann, kein richtiges Grab. Weil es jahrelang so aussah, als sei vom Körper des Vaters nichts übrig geblieben, was man beerdigen könnte. Bis dann ein Finger und ein Zahn auftauchten. Seit Jahren schon kämpft die heute 65 Jahre alte Tochter darum, das wenige zu bekommen, was vom Körper ihres Vaters übrig geblieben ist. Finger und Zahn würden von den belgischen Behörden als "Trophäen" missbraucht, schrieb Juliana Lumumba jetzt an den belgischen König Philippe. Eine Antwort wurde bisher nicht bekannt, was zeigt, wie schwer sich Belgien tut mit seiner kolonialen Vergangenheit.

Patrice Lumumba war der erste Ministerpräsident der unabhängigen Demokratischen Republik Kongo. 1960 kam er nach den ersten freien Wahlen ins Amt und nahm das mit der Unabhängigkeit ziemlich wörtlich. Bei seiner ersten Rede beklagte er: "Wer wird je die Massaker vergessen, in denen so viele unserer Geschwister umgekommen sind?" Dem anwesenden damaligen belgischen König Baudouin sollen die Gesichtszüge entgleist sein. Er hatte sich mehr Dankbarkeit gewünscht von seinen ehemaligen Untertanen, die in die Freiheit entlassen wurden, nach vielen Jahren der Sklaverei und Millionen Toten.

Letztlich, so stellten es sich der König und viele westliche Staaten vor, sollte es eine Freiheit unter väterlicher Aufsicht sein, die den Kolonialmächten und den USA weiter Zugang zu den unermesslichen Rohstoffen des Landes ermöglichte. Patrice Lumumba sah das anders und wollte ein wirklich freies Land. Wenig später wurde er unter Mithilfe der USA und Belgiens ermordet. Die Macht übernahm Mobutu Sese Seko, der den Kongo in den kommenden Jahrzehnten als Diktator ruinierte. Es war eine Ursünde europäischer Afrikapolitik, die bis heute nachwirkt.

Lumumbas Leiche wurde von dem belgischen Polizisten Gerard Soete und dessen Bruder zerkleinert und in Batteriesäure aufgelöst. Davor aber zogen sie der Leiche noch einen Zahn und trennten einen Finger ab. Die makabren Trophäen zeigte Soete noch Jahre später stolz in Interviews herum, bevor er sie seiner Tochter vererbte, die den Zahn hin und wieder präsentierte und klagte, dass ihr Vater "keinen Dank oder Anerkennung für das bekam, was er getan hat". Ein Gericht entschied 2016, die Überreste Lumumbas müssten an den belgischen Staat ausgehändigt werden. Dort liegen sie seitdem. Und immer wieder fordert die Tochter die Rückgabe. Mal zum Geburtstag des Vaters, mal zum Unabhängigkeitstag des Kongo. Bisher ohne Ergebnis.

Fünf Jahre alt war Juliana Lumumba, als ihr Vater ermordet wurde. Wenn sie an ihn denke, dann an einen liebenden Vater: "Wenn er zur Arbeit musste, bin ich mit und habe auf einem Stuhl gesessen und ihm zugesehen", erzählte sie einmal. Sie und ihre Geschwister setzen seine Arbeit bis heute fort, kämpfen für Gerechtigkeit für den Kongo - und ihren Vater. Auf Betreiben von François Lumumba setzte das belgische Parlament 2001 eine Untersuchungskommission zum Tode des Premierministers ein, die zu dem Schluss kam, dass selbst der damalige belgische König Baudouin von dem Mordkomplott wusste und es billigte.

Juliana Lumumba folgte dem Vater 1999 in die Politik, wurde Ministerin für Kultur und Kunst in der Regierung Laurent-Désiré Kabilas, der als Befreier anfing und sich wohl mit dem Namen Lumumba schmücken wollte, sich aber schnell zum dilettantischen Autokraten wandelte. Juliana Lumumba zog sich aus der Politik zurück und widmete sich dem Kampf um das Ansehen des Vaters. Manchmal scheint er aussichtslos zu sein. "Die Jahre vergehen, und unser Vater bleibt ohne eine Grabrede, ein Körper ohne Knochen."

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Quelle:
SZ vom 03.09.2020
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