Süddeutsche Zeitung

Prepper-Szene:Mehr als nur ein Faible für Vorräte

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Die Reporterin Gabriela Keller beleuchtet in einem Buch die disparate Prepper-Szene. Die einen horten Dosen, die anderen Waffen.

Rezension von Thomas Balbierer

Das erste Prepper-Gesetz: Der Zusammenbruch der bisherigen Ordnung steht bevor. Bereite dich deshalb, Gesetz Nummer zwei, auf einen harten Überlebenskampf vor: Bevorrate ausreichend Nahrung, trainiere für ein Leben ohne Strom oder fließendes Wasser. Drittens, verrate niemals dein Versteck. Denn wenn der Untergang kommt, wird der Mensch auf der Suche nach Schutz zum Tier.

Das ist, mehr oder weniger, das Weltbild, das die Autorin Gabriela Keller in ihrem Buch "Prepper - Bereit für den Untergang" beschreibt. Keller, hauptberuflich Reporterin beim Recherchenetzwerk correctiv, tauchte tief in die Gedankenwelt von Menschen ein, die Lebensmittel horten, durch Wälder robben, Bunker mieten und autarke Siedlungen gründen - um in Sicherheit zu sein, wenn das Ende naht. Oder, um es im gängigen Prepper-Code zu sagen: when shit hits the fan.

Prepper, das waren in der öffentlichen Darstellung bislang oft Sonderlinge, die im Keller Konserven horten, von der Apokalypse träumen und schlimmstenfalls einen modrigen Rechtsextremismus pflegen. Keller tritt diesen Klischees entgegen. Den Prepper gebe es nicht, schreibt sie.

Die Szene, wenn man sie überhaupt so nennen will, sei vielschichtig: von der Hartz-IV-Empfängerin bis zum Silicon-Valley-Milliardär, vom jungen Zeitsoldaten bis zum Frührentner.

Im Buch begegnet man zum Beispiel einem ehemaligen Unternehmensberater. Früher zerlegte er für die Finanzindustrie Firmen, um deren Einzelteile mit maximalem Profit zu verhökern.

Heute sitzt er als Kapitalismus-Aussteiger im Plastikstuhl auf einem heruntergewirtschafteten Gutshof in Sachsen-Anhalt und will eine Prepper-Kommune gründen: mit Wohnwägen, Werkstätten, Gemüsebeeten und geräuchertem Fleisch. Prepper sind für ihn "normale Menschen, die mit einer gewissen Angst und Skepsis in die Zukunft schauen und sich überlegen: Wie kann ich meine Familie beschützen?"

Das erste Drittel liest sich wie eine Entlastung

Das erste Buchdrittel liest sich dann auch wie eine Entlastung. Hier und da lässt die Autorin Sympathie für die Idee ihrer Protagonisten erkennen, sie schreibt: "Die Prepper könnten in einigen Punkten recht haben." Schließlich sei die Angst vor der Apokalypse angesichts von explodierenden Bevölkerungszahlen und schwindenden Ressourcen nicht an den Haaren herbeigezogen.

"Das Ende naht - dieses Motiv fand sich ja schon in der Bibel." Die Corona-Krise habe den Eindruck verstärkt. An anderer Stelle zitiert sie den Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, der am Prepper-Dasein erst mal "nichts Verwerfliches" findet.

Gerade als sich Verständnis im Leser breitmacht, kommen aber die abgründigen Ecken zum Vorschein: Die Nähe zu Verschwörungserzählungen, die Sehnsucht nach Dystopie, der rechtsextreme Waffen- und Gewaltdurst. Da ist das Telefonat mit einem österreichischen Untergangspropheten, der wegen Volksverhetzung vorbestraft und offenbar nicht ganz zurechnungsfähig ist. "Es wird eine Monarchie kommen", raunt er. Politiker würden dann im Straflager landen oder sofort sterben.

Die Gruppe "Nordkreuz" bestellte Hunderte Leichensäcke

Nun muss man nicht jeden Verrückten ernst nehmen, doch wohin derartige Narrative führen können, zeigen Anschläge wie in Halle und Hanau. Und so dringt Keller mit ihrer Prepper-Vermessung tiefer ins rechtsextreme Milieu vor. Sie beschreibt ein Treffen mit einem angeblichen Mitglied der rechtsextremen Gruppe "Nordkreuz". Das vom Bundesverfassungsschutz beobachtete Netzwerk soll für den Fall des Zusammenbruchs die systematische Tötung von politischen Feinden geplant haben.

Der Mann bezeichnet die Mitglieder als "ganz normale Leute", die durch die Flüchtlingskrise seit 2015 verunsichert gewesen seien, mehr nicht. Ermittlungen zufolge wurden jedoch Waffen und Sprengkörper gehortet, die Bestellung Hunderter Leichensäcke war geplant. Der Vorwurf des Terrorismus steht im Raum.

An diesem Punkt wird das Dilemma der Prepper-Analyse deutlich. Denn wie die Autorin mehrmals selbst betont, ist die Szene "extrem vielschichtig und schwer zu greifen", mit Definitionen komme man "nicht weit". Eine prägnante These will sie nicht formulieren. Und so bleibt der Leser am Ende allein mit der Frage, welchen Erkenntniswert es überhaupt hat, jemandem den Prepper-Stempel aufzudrücken.

Was verbindet den THW-Ehrenamtler aus Mittelfranken im Buch, der sich aus eigenem Erleben für Katastrophen rüstet und Videos mit Tipps ins Internet stellt, mit dem waffenhortenden Neo-Nazi, der im Geheimen Terrorfantasien wälzt?

Hier erscheint das Trennende größer als das Gemeinsame - selbst wenn beide ein Faible für Vorräte haben. Das hatten zu Beginn der Corona-Krise auch viele Deutsche. Nur waren das eher harmlose Hamster.

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Quelle:
SZ vom 15.03.2021
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