Süddeutsche Zeitung

Slowakei:Richter unter Druck

Lesezeit: 3 min

Nach einer überraschenden Verhandlungspause könnte nun das Urteil im Fall des ermordeten Journalisten Ján Kuciak verkündet werden.

Von Viktoria Großmann, München

Am Anfang ging alles ganz schnell. Kaum waren die Ermittlungen abgeschlossen und offiziell Anklage erhoben, wurde auch schon der Prozessbeginn festgelegt. Am 13. Januar begann das wichtigste Mordverfahren, das die Slowakei bisher erlebt hat: jenes gegen den Unternehmer Marian Kočner, dem vorgeworfen wird, zusammen mit Helfern den Mord an dem Journalisten Ján Kuciak in Auftrag gegeben zu haben.

Nicht einmal die Corona-Pandemie konnte den Verlauf des Prozesses stoppen. Wenige Journalisten durften die Verhandlung weiter live im Internet übertragen. Schon am 5. August sollte das Urteil verkündet werden, die Schlussplädoyers waren bereits gehalten - dann wurde der Termin überraschend verschoben. Die Medien reagierten mit Misstrauen: Sind sich die drei Richter nicht einig? An diesem Donnerstag um zehn Uhr soll die Verhandlung nun fortgesetzt werden.

Ob nun das Urteil bekannt gegeben wird, ist unklar. Denn die Staatsanwaltschaft hat neue Beweise vorgelegt. Für die Tageszeitung Denník N ein Indiz dafür, dass sich die Staatsanwälte ihres Erfolges nicht sicher sind. Sie fordern 25 Jahre Haft für Kočner und dessen Komplizin Alena Zsuzsová.

Der Mord an Ján Kuciak und seiner Verlobten im Februar 2018 hatte das Land erschüttert. Kuciak hatte über krumme Geschäfte Kočners, dessen Steuerhinterziehungen und Kontakte in höchste Regierungskreise berichtet, aber auch zu Kontakten des damaligen Premiers Robert Fico zur italienischen Mafia recherchiert. Die Menschen gingen auf die Straße, demonstrierten gegen Korruption und für die Aufklärung der Morde. Fico und andere Regierungsmitglieder traten zurück. Bald fiel der Verdacht auf Kočner, denn der hatte Kuciak vor Zeugen explizit bedroht.

Der eigentliche Täter, der das junge Paar in dessen Haus erschossen hatte, hat gestanden und ist bereits zu 23 Jahren Haft verurteilt. Den Auftrag, so sagte er aus, habe er von einem Mittelsmann erhalten. Kočner, sagte er damals im Gericht, kenne er nur aus dem Fernsehen. Auch jener Mittelsmann ist bereits verurteilt, zu 15 Jahren. Er war es, der Kočner und seine Komplizin Alena Zsuzsová wesentlich belastet hatte. Für sie habe er die Tat organisiert und zwei Männer angeheuert, die sie ausführen sollten. Zudem belasten Kočner und Zsuzsová Protokolle ihrer Kommunikation über den Messengerdienst Threema schwer.

Bei einer Razzia wurden Beweise gefunden, wie der Angeklagte Gerichtsurteile beeinflusste

Und nun hat die Staatsanwaltschaft nochmals 65 Seiten neues Beweismaterial vorgelegt. Es geht darin um eine weitere Analyse der Handydaten von Zsuzsová. Sie hat über viele Jahre mit Kočner zusammengearbeitet, für ihn aus dem Ungarischen und Italienischen übersetzt, spioniert oder Material für Erpressungen gesammelt. Die Richter müssen nun entscheiden, ob sie die neuen Beweise zulassen. Anträge der Anwälte der Angeklagten, weitere Beweise aufzunehmen, hatten die Richter zuletzt abgewiesen.

Die Angeklagten beteuern ihre Unschuld, ihre Verteidiger plädieren auf nicht schuldig. Kočner hatte wiederholt vor Gericht erklärt, er fühle sich von der Presse vorverurteilt. In seinem Schlussstatement verglich er den Prozess gar mit einem der kommunistischen Schauprozesse in den Vierzigerjahren. Kuciak sei kein außergewöhnlicher Journalist gewesen, die Onlinezeitung Aktuality.sk habe nichts anderes berichtet als andere Medien auch.

Es lastet erheblicher Druck auf den Richtern, ihr Urteil gut zu begründen und keinerlei Zweifel an ihrer Unabhängigkeit aufkommen zu lassen. Es geht auch um das Ansehen ihrer eigenen Zunft. Nicht zuletzt die Justiz war tief in das Korruptionsnetz verstrickt, von dem Marian Kočner viele Fäden in der Hand hielt. Letztlich diente er aber anderen, die bis heute nicht angeklagt sind. Etwa Ex-Premier Robert Fico, der nun die Opposition anführt und bisher heil aus allem hervorzugehen scheint - wenn man davon absieht, dass seine Partei die Parlamentswahl im Februar verlor.

Der neue Premier Igor Matovič will Fico strafrechtlich verfolgen lassen. Das wichtigste Projekt seiner Regierung ist eine Reform der Generalstaatsanwaltschaft. Im März wurden bei einer Razzia mehrere Richter und Anwälte festgenommen - und weitere Beweise dafür gefunden, dass Kočner teils erfolgreich Urteile beeinflusste und Prozesse verzögern ließ.

Er werde einen Freispruch nicht akzeptieren, sagte einer der Staatsanwälte bereits vor einem Monat den Medien. Die Beweise seien eindeutig. Egal, wie der Prozess ausgeht: Kočner wird ohnedies für 19 Jahre im Gefängnis sitzen. Zu dieser Haftstrafe war er im Frühjahr in einem Betrugsfall bereits verurteilt worden. Alena Zsuzsová könnte auf freien Fuß kommen, aber wohl nicht für lang. Sie soll einen weiteren Mord in Auftrag gegeben und drei Morde mitgeplant haben, die allerdings nicht ausgeführt wurden: an zwei Staatsanwälten und einem Anwalt.

Mit einem Urteil wäre der Fall Kuciak abgeschlossen, aber nicht der Fall Kočner. Der heute 57-Jährige war einer der einflussreichsten Männer in einem seit der Wende aufgebauten mafiösen Netzwerk - aber er war nicht der Einzige, der gegen die Regeln verstieß. Journalisten setzen Ján Kuciaks Arbeit fort und werten derzeit die sogenannte Kočner-Bibliothek aus - 57 Terabyte Daten, die Chatprotokolle und Telefondaten umfassen. So wurden im August neue Erkenntnisse in einem Geldwäschefall enthüllt, in den auch die mächtigste Finanzgruppe des Landes, Penta, verwickelt sein soll. Premier Matovič gratulierte den Journalisten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5018776
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.09.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.