Süddeutsche Zeitung

Polen:Neues Wahlrecht

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Die geplante Präsidentschaftswahl soll wieder in Wahllokalen und zusätzlich per Briefwahl möglich sein. Doch Juristen und Politiker kritisieren den Gesetzesvorstoß als widersprüchlich und fehlerhaft.

Von Florian Hassel, Warschau

In Polen ist nach der ausgefallenen Präsidentschaftswahl weiter unklar, wie und wann das 38-Millionen-Einwohner-Land einen neuen Präsidenten wählt - und ob eine kommende Wahl gültig sein wird. Eigentlich sollte die Präsidentschaftswahl am 10. Mai stattfinden, wegen der Corona-Krise ausschließlich als kurzfristig organisierte Briefwahl. Diese war indes rechtlich umstritten, zudem war die Post außerstande, kurzfristig eine Briefwahl für mehr als 30 Millionen Wahlberechtigte zu organisieren.

Nachdem am 10. Mai nicht gewählt wurde, stellte Polens Wahlkommission fest, bei der Wahl habe "die Möglichkeit des Stimmens für Kandidaten gefehlt". Dies sei gleichbedeutend mit dem Fall, dass nur ein Kandidat antrete: Die Wahl sei ungültig, die Sejm-Präsidentin müsse innerhalb von 14 Tagen neue Wahlen ausschreiben. Dies seien "vollständig neue Wahlen", erklärte Kommissionsvorsitzender Sylwester Marciniak. "De facto haben wir heute den Wahlprozess beendet."

Es gibt keinerlei Wahlkampf in Polen, das Staatsfernsehen zeigt vor allem Amtsinhaber Duda

Juristen kritisierten diese Argumentation, doch schon am Dienstag verabschiedete der Sejm ein geändertes Wahlgesetz: Jetzt soll wieder in Wahllokalen und zusätzlich per Briefwahl gewählt werden. Doch das Gesetz muss erst vom oppositionskontrollierten Senat beraten werden, dem Oberhaus des Parlaments. Dafür hat der Senat bis zu 30 Tage Zeit. Bisher ist unklar, wie die Sejm-Präsidentin innerhalb von zwei Wochen den Termin für eine Wahl voraussichtlich Ende Juni oder im Juli festsetzen will, obwohl das entsprechende Wahlgesetz nicht beschlossen ist. Und es gibt weitere Widersprüche.

So sollen Fristen im Wahlprozess von der Sejm-Präsidentin festgesetzt werden, die von der regierenden PiS-Partei gestellt wird. Dabei gibt es in Polen keinerlei Wahlkampf, zeigt das Staatsfernsehen vor allem Amtsinhaber Andrzej Duda und diskreditiert massiv Oppositionskandidaten.

Zwar hat Polen am 4. Mai begonnen, Corona-Einschränkungen aufzuheben und etwa Einkaufszentren wieder zu öffnen. Demonstrationen und Versammlungen aber sind weiter verboten. Zudem müssen Präsidentschaftskandidaten in Polen für ihr Antreten mindestens 100 000 Unterschriften vorlegen. Das jetzt im Sejm verabschiedete Wahlgesetz erlaubt allen bereits für den 10. Mai registrierten Kandidaten, ohne erneute Unterschriftensammlung anzutreten. Neue Kandidaten aber müssten diese Unterschriften noch vorlegen. Dies widerspricht sowohl dem Gleichheitsgrundsatz bei Wahlen wie der Feststellung von Wahlkommissionschef Marciniak, es gebe "vollständig neue Wahlen": Diese erfordern neue Unterschriftensammlungen und einen neuen Wahlkampf - faktisch unmöglich in der in Polen weitergehenden Corona-Krise.

Juristen und Politiker kritisierten die jüngsten Wahlmanöver. Beim Umgang mit der Präsidentschaftswahl seien "alle möglichen Standards und Prozeduren gebrochen worden", stellte Polens auch mit der Aufsicht über die Verfassung betrauter Bürgerrechtskommissar Adam Bodnar fest. Ex-Ministerpräsident Leszek Miller nannte das am Dienstag ohne Konsultation durchs Parlament gepeitschte Wahlgesetz im Fernsehsender TVN "skandalös".

Die Gültigkeit einer so organisierten Wahl könne bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angefochten werden, erklärte Ex-Verfassungsgerichtspräsident Andrzej Rzepliński der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza. "Ich bin bereit, mich einer solchen Klage anzuschließen." Der Ex-Gerichtspräsident, Bürgerrechtskommissar Bodnar und Polens Ex-Präsidenten Alexander Kwasniewski und Bronisław Komorowski forderten, die Regierung solle in Übereinstimmung mit der Verfassung den Katastrophenzustand ausrufen: Dieser würde bestehende Amtszeiten verlängern, Wahlen frühestens 90 Tage nach seinem offiziellen Ende zulassen.

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SZ vom 14.05.2020
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