Süddeutsche Zeitung

Pkw-Maut:Deutschlands Nachbarn sind empört über möglichen Maut-Deal

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Von Thomas Kirchner

Lange Verhandlungen mit Berlin und selbst ein Blauer Brief waren fruchtlos geblieben, da griff die EU-Kommission Ende September zu ihrem härtesten Mittel und zog wegen der Mautpläne der Bundesregierung vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Ein Ausweg? Nicht in Sicht. Das Prestigeprojekt der CSU sei mit EU-Recht unvereinbar, so der scheinbar felsenfeste Standpunkt der EU-Beamten. Es verstoße "gegen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sowie des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs".

Wenn nun aber alles ganz anders wäre, wenn es völlig überraschend doch eine Lösung mit der EU gäbe, und wenn das am Vorabend des CSU-Parteitags bekannt würde, wäre das nicht großartig für den glücklosen CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt und seine Partei?

Wer zog die Fäden für das CSU-Erfolgserlebnis?

So ist es gekommen. Und in Brüssel fragt man sich am Freitag, welche Rolle die Kommission dabei spielte. Genauer: Warum spielte sie überhaupt mit? Denn noch ist ja nichts fix, es gab nur "informelle Gespräche" zwischen beiden Seiten, und allzu oft mauert die Behörde in solchen Fällen, etwa mit dem Hinweis auf "laufende Verhandlungen". Diesmal hat sie aber frohgemut bestätigt, dass es "sehr weitreichende Fortschritte" gebe, während hinter den Kulissen recht detailliert über den Stand der Dinge informiert wird.

Wer an welchen Fäden zog, um der CSU dieses Erfolgserlebnis zu ermöglichen, lässt sich am Freitag nicht ganz rekonstruieren. Am weitesten führt Dobrindts Aussage, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker habe sich "persönlich stark engagiert". Wie schon bei den Roaming-Gebühren und anderen Themen in jüngster Zeit hat der Luxemburger Christsoziale dem zuständigen Kollegen das Heft aus der Hand genommen, in diesem Fall Verkehrskommissarin Violeta Bulc; sie hat sich immer wieder dezidiert gegen die deutschen Pläne gestemmt. Auch wenn eine Sprecherin beteuert, die Slowenin sei "voll eingebunden" gewesen, war es wohl maßgeblich Junckers in Berlin gut vernetzter Kabinettschef Martin Selmayr, der den Umschwung herbeiführte.

Das Kanzleramt dementiert, Merkel habe bei Juncker interveniert

Oder hat gar Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Parteifreund Juncker ein gutes Wort für Dobrindt eingelegt, um ihr Verhältnis zur CSU zu verbessern? Diese Mutmaßung dementiert man im Kanzleramt. Es habe keinerlei derartige politische Massage gegeben, heißt es.

Tatsächlich hatte die Kommission bei Einreichung der EuGH-Klage betont, man werde mit Berlin im Gespräch bleiben. Eine Annäherung gibt es nun in drei Punkten: Die Eins-zu-eins-Entlastung für deutsche Autofahrer soll durch eine "ökologisierte", also nach Alter und Emission des Wagens gestaffelte Entlastung ersetzt werden. Deutschland will zudem deutlich günstigere Kurzzeit-Vignetten anbieten als geplant. Außerdem, so ist in Brüssel zu hören, hat Berlin versprochen, künftige Pläne der Kommission für ein europaweites, von den gefahrenen Kilometern abhängiges Maut-System politisch zu unterstützen. Die Ampel stehe auf "gelb" und nicht auf "grün", sagt eine Kommissionssprecherin. Aber wenn die noch für November angestrebte Einigung gelinge, werde man die Klage in Luxemburg zurückziehen.

Aus Österreich kommt scharfer Protest

Ein Durchbruch? Nein, "Trickserei", schimpft der grüne EU-Abgeordnete Michael Cramer. "Es ist hochgradig unfair, dass Menschen mit einer Fahrleistung von jährlich 10 000 Kilometern genauso viel zahlen sollen wie Kfz-Halter, die 200 000 Kilometer pro Jahr zurücklegen." Ausländer würden weiterhin einseitig benachteiligt, weil sie von keiner Steuererleichterung profitierten. Außerdem gebe es bei Kurzzeitvignetten keinen Bonus für saubere Autos. Die geplante Maut bleibe somit "asozial und unökologisch".

Scharfe Kritik kommt auch aus Österreich. "Es liegt der Eindruck nahe, dass sich die EU-Kommission auf einen Kuhhandel einlässt, um einem Konflikt mit Deutschland aus dem Weg zu gehen", mutmaßt Verkehrsminister Jörg Leichtfried (SPÖ). Man werde das deutsche Modell genau prüfen, um zu sehen, ob diskriminierende oder europarechtswidrige Punkte vorlägen. "Wenn Österreicherinnen und Österreicher benachteiligt werden, behalten wir uns weitere Schritte vor."

Auch die Niederlande haben erwogen, eine deutsche Maut in Luxemburg anzufechten. Die Ausgangslage sei dann aber eine völlig andere, sagt der EU-Abgeordnete Markus Ferber (CSU). "Bei einer Einigung mit Berlin säßen die Kommission und Deutschland gemeinsam auf der Anklagebank." Die "Maulhelden" in anderen Ländern sollten lieber aufpassen, dass der EuGH nicht ihre eigenen Mautsysteme über den Haufen werfe. "Sind Sie schon mal durch Slowenien gefahren und haben 15 Euro für die Wochen-Vignette bezahlt?" Ferber sieht sich in seiner Überzeugung bestätigt, "dass an einer Beteiligung der Nutzer an den Infrastrukturkosten, sprich: einer Maut, kein Weg vorbeiführt". Er habe "dem Alexander daher immer geraten, locker zu bleiben".

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SZ vom 05.11.2016
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