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Piratin Weisband zieht sich zurück:Sie ist ein Star und will da raus

Lesezeit: 4 min

Sie ist die bekannteste Führungsfigur der Piraten, möchte jetzt aber ein Jahr für ihre Diplomarbeit pausieren: Eigentlich handelt Marina Weisband mit ihrem Rückzug so, wie es dem Selbstverständnis der Partei entspricht. Doch der mediale Hype um das Aushängeschild offenbart ein grundsätzliches Dilemma der Partei.

Hannah Beitzer

Was wäre wohl die Schlagzeile, mit der die Medien Marina Weisband derzeit am meisten ärgern könnten? Vielleicht: "Die Piraten verlieren ihre schöne Frontfrau" - da wären dann so ziemlich alle Attribute drin, an denen sich die Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei störte, seit der Hype um sie losbrach:

Dass kaum ein Artikel ohne einen Verweis auf ihr gutes Aussehen und ihren eleganten Stil auskam. Dass sie stets "als Frau" rechtfertigen musste, dass es bei den Piraten so wenige weibliche Mitglieder gibt. Dass die Medien aus ihr die maßgebliche Führungsfigur der Piratenpartei machten - obwohl sie ihren Posten als Politische Geschäftsführerin vor allem als Verwaltungsjob verstanden haben wollte. Und zuletzt eben, dass es nach ihrer überraschenden Ankündigung, auf dem Bundesparteitag im April nicht mehr kandidieren zu wollen, hieß, die Piratenpartei habe sie "verloren".

Weisband wehrt sich dagegen. "Die Piraten verlieren gar nichts! Ich bleibe weiter bei den Piraten und ich bleibe weiter aktiv. Ich werde meine Politik weitermachen und ich werde diese Gesellschaft weiter durch Denkanstöße zu verändern suchen'", schreibt sie auf ihrem Blog unter dem Titel "Der Tag, an dem nichts wirklich passiert ist".

Dort gibt sie sich überrascht von dem riesigen Wirbel, der nach ihrer Ankündigung losbrach und schiebt eine ausführliche Begründung ihres Schritts hinterher: "Ich habe festgestellt, dass mit dem plötzlichen und unvorhergesehenen Erfolg der Piratenpartei einerseits und meiner persönlichen medialen Präsenz andererseits das Diplom nicht mit meinem Parteiamt zeitlich und physisch vereinbar ist."

Sie sei vor der Wahl gestanden, entweder im Amt zu bleiben und auf das Diplom zu "pfeifen" oder eben das Amt aufzugeben - und habe sich für Letzteres entschieden. "Ich werde jetzt nicht den Namen Guttenberg nennen, aber wenn man ohne gutes Fundament in die Politik geht, ist man dort nicht nur gefährdet. Man macht sich abhängig davon, Politiker sein zu müssen, weil man nichts anderes machen kann, nie etwas anderes gemacht hat."

Aus Sicht der Piraten ist das nur logisch: Die Partei verdankt ihren Erfolg gerade dem Umstand, dass sie vieles anders machen will als das Establishment - auch was die Bedeutung von Führungsfiguren und Machtpolitik angeht. Der Parteivorstand, da sind sich die Piraten einig, soll vor allem organisatorische Aufgaben haben und weniger persönlich im Vordergrund stehen.

Führungskult? Ist nur was fürs Establishment

Nicht umsonst haben sie in Sebastian Nerz einen Vorsitzenden, der Journalisten schon mal mit der Weigerung, seine persönliche Meinung zu Sachfragen zu äußern, zur Weißglut bringt. Und ins Abgeordnetenhaus von Berlin sind die Piraten auch nicht eingezogen, weil sie so schillernde Kandidaten hatten, sondern dank ihrer betonten Normalität. Man denke nur an den Berliner Fraktionsvorsitzenden Andreas Baum, der sich nie übermäßig in den Vordergrund drängt.

Klar, die eloquente Marina Weisband hat dem Bild der Piraten in der Öffentlichkeit nicht geschadet. Dass sie pausiert, ist für die Partei ärgerlich, weil es Weisband gut verstand, einen Konsens zwischen verschiedenen Lagern zu schaffen und diesen auch medienwirksam nach außen zu transportieren. Doch eine allzu große Rolle dürfte ihr Weggang nicht spielen, falls es den Piraten tatsächlich ernst ist mit der Schwarmintelligenz und der Basisdemokratie.

Die Reaktionen im Netz sind entsprechend: "Deine klugen Gedanken und kreativen Ideen bleiben uns ja erhalten - auf die kommt es schließlich an. Deine Entscheidung halte ich für richtig, meine besten Wünsche begleiten Dich", schreibt zum Beispiel ein Anhänger in Weisbands Blog. "Wenn man als Partei massiv für Bildung eintritt, muss doch so ein Diplom wohl drin sein", twittert ein anderer an @afelia, wie sich Marina Weisband auf Twitter nennt.

Die Innenwirkung ist das eine, die Außenwirkung etwas ganz anderes. Die Piratenpartei agiert nicht im luftleeren Raum. Medien, politische Gegner und Freunde, Interessengruppen und nicht zuletzt auch viele Wähler suchen in der Politik nach Personen, die Parteien ein Gesicht geben, an denen sie sich reiben können, denen sie zustimmen oder die sie verdammen können.

Darauf kann man mit Spott reagieren, wie es viele Twitter-Nutzer nun tun. "Die Medien möchten halt ein schönes Gesicht vermarkten. Also sei lieb und geh zumindest ins #Dschungelcamp. ;)", twittert einer, "Ach komm, Du kannst doch den Medien nicht einfach so mit Rationalität ihre schöne Sensation wegnehmen!" ein anderer. Und natürlich darf auch der Guttenberg-Seitenhieb nicht fehlen: "Vermutlich ist es für die (meisten) Medien nur überraschend, dass eine erfolgreiche Politikerin ihre Dipl.-Arbeit selber schreiben mag?!"

Doch letztendlich zeigt sich hier ein grundsätzliches Dilemma, dem sich die Partei stellen muss. Einerseits hat man es sich zum erklärten Ziel gemacht, in Parlamente einzuziehen und Teil des politischen Systems zu werden. Da ist eine gewisse Anpassung an die dortigen Gepflogenheiten unerlässlich. Da müssen Entscheidungen schnell getroffen und vor allem klar kommuniziert werden. Und da muss es auch Gesichter geben, denen man diese Entscheidungen zuordnen kann.

Andererseits können die Piraten ihre Prinzipien auch nicht einfach so über Bord werfen. Sonst laufen sie Gefahr, sich selbst überflüssig zu machen. Sie sprechen immerhin für zahlreiche Menschen in Deutschland, die die politischen Machtworte, das Durchregieren, das Schielen auf das eigene Fortkommen befremden. Und die auch die auf Skandale und Charismatiker ausgerichtete Berichterstattung kritisieren.

Wie sehr sich da zuweilen auf eine Person eingeschossen wird, konnte man zuletzt im ZDF- Morgenmagazin sehen: Dort stieg die Moderatorin in einen Bericht über Marina Weisbands Rückzug ein mit: "Und da war es plötzlich keine mehr - keine Frau mehr im Vorstand der Piraten." Wie zahlreiche Medien in den vergangenen Wochen hatte das ZDF übersehen, dass es dort sehr wohl noch eine zweite Frau gibt, nämlich Gefion Thürmer.

Die machte jedoch gleich via Twitter klar, dass sie auf keinen Fall Gegenstand des nächsten Medienhypes sein möchte: "N24 will mich sprechen. Aber dann würde ich die zweite @Afelia. Niemals ich. Niemals Politikerin. Immer nur 'eine Frau bei den Piraten'." Vielleicht ist es auch das, was Marina Weisband meint, wenn sie sagt, dass man als Basismitglied der Piraten eigentlich mehr Möglichkeiten hätte. Dass man sich auf die Themen konzentrieren könne, die einem wichtig sind, und nicht mehr von einem PR-Termin zum nächsten hetze. Kein Star mehr sein, sondern einfach nur Pirat. Das ist jetzt Weisbands Ziel.

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