Süddeutsche Zeitung

Pegida:Die neue wilde Jagd

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Die Demonstranten in Dresden behaupten: "Wir sind das Volk!" Doch das ist falsch. Hoffentlich finden sich genug Gegendemonstranten, die deutlich machen, dass die Pegida-Behauptung eine Lüge ist.

Kommentar von Heribert Prantl

In den Raunächten des Dezember, so glaubte man früher, zieht die wilde Jagd durch die Lüfte. Heute zieht die Pegida-Demonstration durch Dresden. Man mag sie für einen sächsischen Spuk halten, der, wie die wilde Jagd, nach einiger Zeit von selber wieder verschwindet - zumal dann, wenn keiner mehr hinschaut. Das kann gut sein. Es kann aber auch sein, dass diese seltsame Bewegung sich bieder-aggressiv fortpflanzt und von der AfD gepflegt und gegossen wird. Anzeichen dafür gibt es. Es sind keine guten Anzeichen. Es vermischt sich das Gutbürgerliche, das Kleinbürgerliche, das Reaktionäre und Pöbelhafte und behauptet: Wir sind das Volk!

Hoffentlich nicht. Und es finden sich hoffentlich genügend Gegendemonstranten allerorten, die klarmachen, dass die Pegida-Behauptung eine Lüge ist. Pegida hat das Motto der DDR-Revolution gestohlen, um sich so demokratisch zu nobilitieren. Nobel ist an den Demonstrationen nichts. Und wenn die Demonstranten heute Weihnachtslieder singen wollen, hat das mehr als nur einen Hauch von Frevel. Die Ausländer-, Flüchtlings- und die Islamfeindlichkeit wird überzuckert. Pater Anawati, der verstorbene große Vorkämpfer für die Verständigung zwischen dem Islam und dem Christentum, hat schon vor dreißig Jahren festgestellt, es gebe in Europa eine anti-koranische Tollwut. Wer das nicht glaubt, der lese die Internet-Einträge, welche die Islam-Kritik von Pegida verteidigen.

Natürlich darf man nicht so tun, als gäbe es das alles nicht. Man muss sich entschlossen damit auseinandersetzen. Aber man darf den Gehässigkeiten keinen Millimeter nachgeben. Einen runden Tisch für Pöbeleien kann es nicht geben. Pöbler dürfen nicht den Eindruck haben, sie müssten nur laut und lange genug pöbeln, bis ihnen die Politik um den Bart geht. Die Werte der Aufklärung, die Religionsfreiheit, die Toleranz, den Respekt voreinander, das Miteinander der Kulturen verteidigt man nicht dadurch, dass man ihren Gegnern "berechtigte Sorgen" attestiert.

Den Staat wieder mütterlicher machen

Die Demonstrierer sind ernst zu nehmen, ja. Aber nicht, indem man ihren Wünschen nach einer autoritären Gesellschaft nachkommt, strengere Gesetze macht und die Rechte der Zuwanderer beschneidet. Vor 25 Jahren, als Ausschreitungen gegen Ausländer gang und gäbe waren, gab die Politik nach und verkürzte das Asylgrundrecht. Diese Grundgesetzänderung gehört zu den größten politischen Fehlern der Nachkriegszeit. Man muss daraus lernen.

Die richtige Reaktion der Politik auf Pegida ist, den Staat wieder mütterlicher zu machen für die Menschen, nährend und bergend, ausgleichend und wärmend - das Vaterland in ein Mutterland zu verwandeln, für die Alt- und die Neubürger. Und die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, sollen Schutz genießen. Das darf der Inhalt der Weihnachtsbotschaften der Kanzlerin und des Bundespräsidenten sein: Deutschland soll Heimat sein für alle, die hier leben, ob sie an Gott, Allah oder an gar nichts glauben. Das Christentum hat hier Heimat, das Judentum, der Islam - und, selbstredend, der Atheismus auch.

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Quelle:
SZ vom 22.12.2014
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