Süddeutsche Zeitung

Parteitag der Piraten in Offenbach:"Grundeinkommen ist nicht links, sondern notwendig"

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Sind sie die Grünen 2.0 oder doch eine neue FDP? So richtig klar ist vielen bisher nicht, wo genau die Piratenpartei einzuordnen ist. Auf ihrem Bundesparteitag sprachen sich die Piraten jetzt für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus - nach heftiger Debatte.

Hannah Beitzer, Offenbach

Die Schlange vor dem Mikrofon ist lang. Viele Piraten wollen etwas sagen zum ewigen Streitthema der Partei: dem bedingungslosen Grundeinkommen. Schnell kristallisieren sich zwei Lager heraus: "Wir haben heute die Wahl ob wir eine sozial-liberale Partei sein wollen oder neo-liberal", ruft einer der Befürworter. Er gehe davon aus, dass wir den Zusammenbruch unseres Wirtschafts- und Währungssystem erleben. "Und da erwarte ich von uns, dass wir freier und grundsätzlicher als andere Parteien darüber nachdenken", schiebt er hinterher.

Er beruft sich auf einen Essay der Schriftstellerin Juli Zeh, in dem sie die Piraten zur neuen entscheidenden sozial-liberalen Kraft adelt. Mit Betonung auf sozial. "Es geht nicht, dass Kinder zum Essen zur Tafel geschickt werden in einem Land, das so kack-reich ist wie Deutschland", ruft ein Pirat aus Hannover - seine Parteifreunde applaudieren stürmisch.

Im Berliner Wahlprogramm stand das Grundeinkommen schon drin - und hat den Piraten Glück gebracht. Dementsprechend ist auch der Berliner Abgeordnete Christopher Lauer dafür: "Das bedingungslose Grundeinkommen ist nicht links. Es ist in dem Moment, wo man keine Vollbeschäftigung hat, notwendig", sagt er sueddeutsche.de. Das bedeute jedoch nicht, dass sich jeder "am Staatssäckel schadlos halten sollte". Stattdessen solle es, so der Berliner Pirat, für jeden Menschen die Möglichkeit eröffnen, zu überlegen, was er mit seinem Leben anfangen will.

Genauso erbittert argumentieren die Gegner: "Das bedingungslose Geldeinkommen ist ein Paradoxon. Es muss immer jemand den Schuldschein nehmen und dafür einstehen." Dadurch entstehe sozialer Unfriede in der Gesellschaft. "Das ist ein Schritt in Richtung Kommunismus", beschwert sich eine junge Frau.

Gleich zwei Redner aus Bayern argumentieren gegen den Antrag: Er sei eine Utopie, nicht finanzierbar und senke die Motivation, arbeiten zu gehen. Auch bei den Piraten sind die Landesverbände im Süden Deutschlands ein bisschen anders drauf als die Berliner. "Ich habe von den Befürwortern des BGE nur reine Polemik gehört", beklagt sich einer, "wollen wir Polemik machen und die Bürger verarschen oder reale Politik?" Hartz IV müsse abgeschafft werden - aber nicht so.

Manch ein Pirat ist sich noch nicht ganz sicher: "Ich finde das bedingungslose Grundeinkommen gut, weil es die Stigmatisierung von Hartz-IV-Empfängern abschafft. Aber ich habe ein Problem mit der Finanzierung." Darauf will man sich in der Tat nicht ganz festlegen. Es gehe hier um Visionen, werden die Befürworter nicht müde zu betonen. Und die haben im Normalfall eben keinen Business-Plan im Anhang. Und: Wer Banken retten kann, könne auch ein bedingungsloses Grundeinkommen aufbringen.

"Keine Debatte reißt uns Piraten so von den Stühlen wie diese. Und ich liebe jedes Argument dafür und dagegen", fasst ein Antragsteller die Diskussion reichlich salbungsvoll zusammen.

Vielleicht rührt seine gute Laune daher, dass während der Diskussion klar geworden ist, wie deutlich die Befürworter in der Überzahl sind. Und tatsächlich: Der Antrag, das bedingungslose Grundeinkommen ins Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2013 aufzunehmen, erhält die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit. Auch die Forderung nach einem Mindestlohn kommt hinein. Zwar ist die Zwei-Drittel-Mehrheit nur knapp: etwa 67 Prozent der Mitglieder stimmen dafür. Aber der Jubel ist hinterher umso größer.

Jetzt gelte es, die Gegner mit dem Beschluss zu versöhnen, hört man sogleich von den Befürwortern. Bereits in seiner Begrüßungsrede hatte auch der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz seine Parteifreunde dazu aufgerufen, zusammenzustehen: "Euer Gegenüber ist nicht Euer Feind. Es ist Euer Freund." Ob das alle Piraten so sehen?

Auf Twitter jedenfalls gab es schon während der Diskussion kleine Lästereien: "Eben noch in bei den #Julis, jetzt schon mit zittriger Stimme #Kommunismus-Bashing betreiben..." Wobei - manch einer sieht da gar keinen Gegensatz: "Das #FDP-Bürgergeld geht in die gleiche Richtung. Gefällt mir!" lobt ein Tweet. Die FDP, den ewigen Geist, wird man eben selbst mit einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht los.

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