Süddeutsche Zeitung

Papst lockert Kondom-Verbot:Regeln vom anderen Stern

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Tatkräftige Priester in Afrika und Lateinamerika wurden hilflos, wortkarg, manchmal zornig beim Kondom-Verbot der katholischen Kirche. Ein Schwenk könnte den Kampf gegen Aids erheblich befördern.

Peter Burghardt und Arne Perras

Wer durch die entlegenen Gegenden Afrikas reist, stößt immer wieder auf ganz außergewöhnliche Menschen - nicht selten sind das katholische Priester. Im Norden Ugandas, zum Beispiel, haben sie all die Jahre des Krieges ausgeharrt, Busch-Krankenhäuser betrieben, Kinder vor rasenden Rebellen beschützt. Sie spendeten Trost und Hoffnung, und manchmal operierten sie sogar, wenn es galt, einem Verwundeten die Kugel aus dem Bauch zu holen. Diese Retter hatten für alles ein offenes Ohr. Fast alles, wenn man es genau nimmt. Denn wenn die Sprache einmal auf Kondome kam, wirkten die tatkräftigen Priester hilflos, wortkarg, manchmal wurden sie zornig. Sie wussten ja, dass es schnell Ärger mit Rom geben konnte.

Vielleicht wird sich dies bald ändern, nachdem der Papst den Gebrauch von Kondomen in Ausnahmefällen offenbar für zulässig hält. All dies wird die Menschen auf dem Kontinent aber womöglich auch verwirren. Denn bislang wussten sie, was die katholische Kirche von ihnen verlangte. Kondome gehörten nicht zum Sexleben, und manch einer wird sich noch erinnern, was der Papst bei seiner Reise nach Westafrika 2009 verkündete. Damals sprach er davon, dass die Verteilung von Kondomen das Aids-Problem verschlimmern könnte.

Für Millionen afrikanische Ehepartner, die seit Jahren mit dem Virus leben, musste das Kondom-Verbot wie eine Regel aus einer anderen Welt wirken. Weil die katholische Kirche noch immer als eine der wichtigsten moralischen Instanzen auf dem Kontinent gilt, könnte ein Schwenk den Kampf gegen HIV erheblich befördern - so sehen das zumindest viele Gruppen, die daran arbeiten, HIV einzudämmen. Wird die katholische Kirche nun bald einem Ehepaar erlauben, künftig Kondome zu benutzen, wenn einer von beiden HIV-positiv ist? In Afrika gibt es diese Familien in jedem Dorf und in jeder Straße, manche benutzen Kondome schon jetzt, ohne den Segen Roms.

In Brasilien fiel der Sinneswandel von Papst Benedikt XVI. besonders auf, denn dort sind der Umgang mit dem Kondom und der Kampf gegen Aids ein Thema von nationaler Bedeutung. Ein Präservativ wird im brasilianischen Portugiesisch "Camisinha" genannt, Hemdchen, und verhältnismäßig zuverlässig übergezogen. Entsprechend war die Nachricht aus Rom eine Spitzenmeldung. Das größte Land Lateinamerikas ist ja einerseits immer noch eine Hochburg des Vatikans, mehr als 130 Millionen Brasilianer sind Katholiken, mehr als in jedem anderen Staat. Fünf davon bekleiden das Amt eines Kardinals, gerade kam der Erzbischof des Wallfahrtsortes Aparecida dazu, Raymundo Damasceno Assis.

Andererseits nimmt der katholische Einfluss in dem Riesenreich stetig ab. Millionen Gläubige laufen zu evangelikalen Pfingstkirchen über, die sogenannte Universalkirche des Reiches Gottes (Igreja Universal do Reino de Déus) hat Millionen Mitglieder, Tausende Kirchen und sehr viel Geld. Benedikts rigide Sexualmoral kam bei seinem Besuch 2007 nicht gut an, denn Brasilien ist erstens oft freizügig und zweitens eine entscheidende Front in der Schlacht gegen die Seuche.

630.000 der 190 Millionen Einwohner gelten laut der Statistik der Vereinten Nationen als HIV-positiv. Mit einer groß angelegten Aufklärungskampagne und dem Einsatz für billigere Medikamente hat die Regierung einige Erfolge erzielt, 2008 gab Brasilia für seine Kampagne gegen Aids umgerechnet 450 Millionen Euro aus. Dennoch fordern die UN, dass sich Brasilien intensiver um die Vermeidung von weiteren Ansteckungen kümmert.

Vor allem bei Kindern und besonders im armen Nordosten und im abgelegenen Amazonien müsse mehr getan werden. Die päpstliche Teilerlaubnis für Camisinhas bringt auch in Brasilien Bewegung in die Debatte.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2010
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