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Papst-Besuch in Großbritannien:England mag nicht Dritte Welt sein

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Der Papst ist in Schottland gelandet und beginnt seinen ersten Staatsbesuch in Großbritannien. Die Medien bereiten ihm einen heißen Empfang: Von "rassistischen Ausführungen" aus dem Vatikan ist dort die Rede. Stein des Anstoßes: Ein Interview eines deutschen Kardinals.

Michael König

Der Papst kommt zu früh. Um 10.16 Uhr, 14 Minuten früher als erwartet, landet die Alitalia-Maschine mit der Flugnummer AZ 4000 auf dem Flughafen Edinburgh. Es ist der Auftakt zu einer viertägigen Reise durch Großbritannien, in deren Verlauf Papst Benedikt XVI. an zwölf Orten Ansprachen halten wird. Es gibt im Vereinigten Königreich einiges zu klären.

Während das Flugzeug noch in der Luft war, bemühten sich am Donnerstagmorgen die britischen Medien darum, dem Oberhaupt der katholischen Kirche die Hölle heißzumachen.

"Der Papst fliegt mitten in den Sturm der Entrüstung über die rassistischen Ausführungen seines Helfers" heißt es in der seriösen Zeitung The Guardian, die sich an die Spitze der Papst-Kritiker gesetzt hat. Während sich die berüchtigten Boulevard-Blätter wie Sun und News of the World weniger komplexen Themen zuwenden, berichtet auch der Londoner Evening Standard: "Kommentare des Kardinals überschatten Papstbesuch". Es ist die Spitzenmeldung der Online-Ausgabe der Zeitung.

Wenig diplomatisch

Schon seit Tagen protestieren in Großbritannien Kirchenkritiker gegen den Aufenthalts des deutschen Papstes. Sie machen Front gegen die hohen Kosten (von mehr als 20 Millionen Pfund ist die Rede) oder halten dem Papst vor, nichts gegen den Kindesmissbrauch durch Priester unternommen zu haben.

Dass der Protest nun in die Redaktionen der wichtigen Medien geschwappt ist, liegt an einem Interview, dass der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper dem Münchner Magazin Focus gegeben hat. Kasper war Präsident des Rates für die Einheit der Christen, also eine Art Vermittler zwischen den Kirchen. In dem Interview zeigt er sich jedoch wenig diplomatisch - und vergleicht England mit einem Land der Dritten Welt.

"Aggressiver Neu-Atheismus"

Auf die Frage, warum "so viele Briten Unmut über den Papst" äußerten, sagt Kasper wörtlich: "England ist heute ein säkularisiertes, pluralistisches Land. Wenn Sie am Flughafen Heathrow landen, denken Sie manchmal, Sie wären in einem Land der Dritten Welt gelandet."

Weiterhin behauptet Kasper, in England sei ein "aggressiver Neu-Atheismus verbreitet. Wenn Sie etwa bei British Airways ein Kreuz tragen, werden Sie benachteiligt." Damit bezieht er sich offenbar auf einen Gerichtsstreit aus dem Jahre 2006. Damals verbot die Fluggesellschaft einer Mitarbeiterin, ein christliches Kreuz an einer Halskette sichtbar zu tragen. Der Fall ging vor Gericht und war auch in Großbritannien heftig umstritten.

Offiziell erkrankt

Das Interview mit Kasper war am Montag erschienen - am Mittwoch hieß es seitens des Vatikans, Kardinal Kasper könne anders als vorgesehen den Papst nicht auf seiner Reise nach Großbritannien begleiten. Offiziell aus gesundheitlichen Gründen, doch britische Medien sehen darin ein Schuldeingeständnis der Kirche. In der Daily Mail heißt es, der Kardinal sei aus der Entourage des Papstes "herausgeworfen" worden.

Den Kritikern des Heiligen Vaters wird in den Blättern viel Platz eingeräumt. Der Guardian zitiert den Chef der British Humanist Association (BHA), Andrew Copson: "Wir sollten stolz darauf sein, dass das Vereinigte Königreich ein Ort des Liberalismus und der Toleranz ist - im Gegensatz zum Heiligen Stuhl." Die BHA hatte Anfang 2009 eine Aktion unterstützt, bei der atheistische Botschaften auf britische Busse geklebt wurden.

"Das ist Müll"

Auch der Religionsexperte Clifford Longley kommt im Guardian zu Wort und ereifert sich, Kasper erzähle "offensichtlich Blödsinn". Der Schriftsteller Darcus Howe wird mit den Worten zitiert: "Das ist Müll, was Kasper sagt." Weiter berichtet die Zeitung, mehr als 50 "Personen des öffentlichen Lebens", darunter die Schriftsteller Stephen Fry und Terry Pratchett, hätten sich in einem Brief an die Redaktion dagegen ausgesprochen, dem "Papst Ratzinger" die Ehre zu erweisen und ihn als Staatsgast zu empfangen.

Als Affront empfinden die Kommentatoren auch, dass der Papst nach Abschluss seiner Reise nicht mit einem Flugzeug der British Airways die Heimreise antreten wird, sondern wie auf dem Hinflug eine Maschine der Alitalia nutzen wird. Das verstoße gegen die Tradition, wonach der Heilige Vater sich von der Fluggesellschaft des Gastlandes transportieren lasse, giftet der Guardian.

Durchaus zur Kenntnis genommen

Der Vatikan bemüht sich darum, die Wogen zu glätten. Sprecher Federico Lombardi betonte, Kardinal Kasper sei tatsächlich krank und könne deshalb nicht mitfliegen. Bei seinem Interview habe er "keine negativen Absichten gehabt oder eine Geringschätzung für das Vereinigte Königreich ausdrücken wollen". Lombardi führte aus, Kasper habe die "großartigen Werte der britischen Kultur" durchaus zur Kenntnis genommen.

Was die Frage des Rückflugs angeht, rechtfertigte sich der Vatikan damit, dass die BA keine staatseigene Airline mehr sei. Der Guardian hält spitzzüngig dagegen: "Alitalia wurde vor zwei Jahren ebenfalls privatisiert."

Magazin rudert zurück

In München rühmt sich derweil die Quelle der Kasper-Zitate dafür, einen Skandal vom Zaun gebrochen zu haben: "Ein Focus-Interview macht Schlagzeilen in Großbritannien", jubelt der Online-Auftritt des Magazins aus dem Burda-Verlag.

Ganz geheuer scheint die Angelegenheit dem konservativen Blatt jedoch nicht zu sein. Die Redaktion lässt über eine Nachrichtenagentur verbreiten, aus dem Gesprächskontext gehe eindeutig hervor, dass sich Kasper mit seiner Aussage über England als Dritte-Welt-Land "eindeutig" auf die "ethnische und kulturelle Vielfalt des Landes" bezogen habe.

Dieser Darstellung widerspricht jedoch der Titel, den der Focus dem Interview gegeben hat: "Land der Dritten Welt" steht darüber - schlicht und ergreifend.

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