Süddeutsche Zeitung

Pakistans Oberster Richter Chaudhry:Keine Angst vor großen Namen

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Unbequem und unbestechlich: Iftikhar Muhammad Chaudhry legt sich als Oberster Richter in Pakistan gern mit den Mächtigen des Landes an. Auch vor dem omnipräsenten Geheimdienst macht er nicht halt - und hat nicht zuletzt deshalb viele Feinde.

Tobias Matern

Er hält keine mitreißenden Reden, er gilt als stur, kompromisslos, auch eitel. Zum Helden taugt Iftikhar Muhammad Chaudhry eigentlich nicht. Dennoch ist der Oberste Richter eine der spannendsten Figuren im politischen Betrieb Pakistans.

Der 63-Jährige ist in seinem Ringen für eine stärkere Justiz unbequem für die Mächtigen, offenbar auch unbestechlich. "Er ist ein außergewöhnlicher Mensch", preist ihn der pakistanische Anwalt Athar Minallah, ein langjähriger Weggefährte Chaudhrys. "Er verteidigt nicht nur die Verfassung Pakistans, sondern die Demokratie."

Das sind große Worte, die Chaudhrys zahlreiche Kritiker nicht gelten lassen. "Er mischt sich zu häufig in die Angelegenheiten ein, die nur der Regierung vorbehalten sind", sagt etwa der frühere Justizminister der Provinz Punjab, Khalid Ranjha. Dass ein Mann wie Chaudhry Feinde hat, bringt sein Job mit sich. Schließlich schreckt er weder vor großen Namen noch vor mächtigen Institutionen zurück.

Derzeit sorgen am Obersten Gericht im Herzen der Retortenstadt Islamabad unter seinem Vorsitz gleich zwei Fälle für Aufsehen: ein Verfahren richtet sich gegen Premierminister Jusuf Raza Gilani und eine Anhörung gegen den eigentlich als unantastbar geltenden Geheimdienst ISI.

Regierungschef Gilani weigert sich, dabei mitzuarbeiten, ein auf Eis gelegtes Korruptionsverfahren gegen Präsident Asif Ali Zardari wieder anzustoßen. Dabei argumentiert der Premier nicht etwa mit der Unschuld seines Chefs, sondern mit der Immunität des Amtsträgers. Das sieht Chaudhry anders. Falls Gilani sich weiter stur stellt und deshalb wegen Missachtung des Gerichts verurteilt werden sollte, könnte er für bis zu sechs Monate im Gefängnis landen.

In Islamabad werfen eine Reihe von Politikern dem hartnäckigen Richter vor, sich durch das Verfahren gegen Gilani zum Erfüllungsgehilfen des übermächtigen Militärs zu machen. Schließlich müssten die Generäle nur zuschauen, wie die Richter die in Ungnade gefallene politische Führung zermürben. Tatsächlich ist die Regierung der instabilen Atommacht bereits mit dem Kampf gegen den Terrorismus und der Energiekrise mehr als ausgelastet. Der vor Gericht ausgetragene Kampf ums politische Überleben Gilanis lähmt die Führung. Aber soll er deswegen ruhen?

Für Nadeem Afzal Gondal ist die Antwort eindeutig. "Warum sollten wir Chaudhry den Verteidiger des Justizsystems nennen? Er glaubt doch an gar kein System", sagt der Politiker, der für die regierende Pakistanische Volkspartei (PPP) im Parlament sitzt. Chaudhry habe sich in den vergangenen Jahren permanent in Angelegenheiten eingemischt, die eigentlich nur die Abgeordneten oder die Regierung anstoßen dürften.

Tatsächlich haben die Fälle, die eigenmächtig vom Gericht in Gang gesetzt werden, deutlich zugenommen. Allerdings führen Chaudhrys Befürworter sicher nicht zu Unrecht an, dass zahlreiche Rechtsverstöße unberührt blieben, wenn das Oberste Gericht sie nicht so unnachgiebig verfolgte. Pakistans Justizsystem ist korrupt, zahlreiche Fälle kommen zum Erliegen, bevor überhaupt Anklage erhoben wird. "Das Oberste Gericht hat sich geändert", räumt der Chaudhry-Kritiker Ranjha ein, "aber nicht die unteren Gerichte". Zu Chaudhrys größten Verdiensten gehöre, den Pakistanern zumindest ein wenig Vertrauen in ihr Rechtssystem zurückgegeben zu haben, findet Anwalt Minallah.

Dieser Eindruck entsteht auch durch Anhörungen des ISI - einer Institution, die immer wieder als Staat im Staate charakterisiert wird. Es soll der Vorwurf geprüft werden, der Geheimdienst habe die Wahlen im Jahr 1990 durch eine generöse Spende an die Opposition beeinflusst. Als sich General Pervez Musharraf im Jahr 1999 unblutig an die Macht geputscht hatte, wurde der Fall auf Eis gelegt.

Chaudhry hat ihn - dreizehn Jahre später - wieder aufgenommen. Dabei hatte ihn einst der ehemalige Militärchef Musharraf zum Obersten Richter ernannt. Nachträglich segnete der Jurist auch den Putsch seines Förderers ab.

Als sich der Präsidentengeneral allerdings im Jahr 2007 erneut das Amt des Staatschefs sichern wollte, ohne dafür die Uniform abzustreifen, ging Chaudhry auf Konfrontationskurs. Musharraf setzte den widerspenstigen Richter ab, zähmen konnte er ihn aber nicht. Dafür galt er selbst fortan nicht mehr als der freundliche Alleinherrscher, sondern als selbstherrlicher Diktator. Die Anwälte begehrten gegen ihn auf, die ins Exil verbannte Opposition witterte ihre Chance - und Chaudhry wurde zu einer Ikone des Widerstands.

Es war der Anfang vom Ende von Musharrafs politischer Karriere. Er schloss im verzweifelten Ringen um die Macht mit der damals im Exil lebenden Ex-Premierministerin Benazir Bhutto einen Pakt: Die Nationale Versöhnungs-Anordnung (NRO) legte fest, alte Korruptionsfälle, unter anderem gegen Bhutto selbst, gegen ihren Mann Zardari und Hunderte weitere Amtsträger fallenzulassen.

Musharraf blieb im Gegenzug auf seinem Posten. Bhutto fiel bald nach ihrer Heimkehr einem Mordanschlag zum Opfer, Zardari gelang bei den nächsten Wahlen ein politischer Coup: Seine Partei wurde mit Abstand stärkste Kraft, er bald darauf Präsident.

Von seinem Versprechen, den von Musharraf geschassten Richter Chaudhry wieder einzusetzen, wollte Zardari indes nichts mehr wissen. Schließlich konnte er sich ausrechnen, dass der Jurist die Versöhnungs-Anordnung, die ihn vor Strafverfolgung schützte, kassieren wollte. Als der Richter schließlich doch wieder ins Amt gelangte, erklärte er den Deal tatsächlich für verfassungswidrig. Damit geriet Zardari erneut ins Fadenkreuz der Justiz.

Chaudhry will, dass die alten Korruptionsfälle gegen den Präsidenten aufgerollt werden. Vielen Pakistanern gilt Zadari als "Mister Zehn Prozent"- weil er bei Regierungsgeschäften in die eigene Tasche gewirtschaftet haben soll. Zardari bestreitet das.

Aber damit nicht genug. Den inzwischen im Exil lebenden Musharraf hat Chaudhry dieser Tage aufgefordert, nach Pakistan zurückzukehren und sich vor Gericht im Mordfall Bhutto zu erklären. Schließlich steht der Vorwurf im Raum, der frühere Präsidentengeneral habe die Politikerin nicht ausreichend schützen lassen. Selbst seine ärgsten Kritiker können Chaudhry nicht unterstellen, er kusche vor großen Namen.

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Quelle:
SZ vom 07.03.2012
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