Süddeutsche Zeitung

Pakistan und die Taliban:Geister, die sie riefen

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Von Arne Perras

Welchen Feind muss Pakistan am meisten fürchten? Jahrzehntelang fiel dem Staat die Antwort darauf nicht schwer. Die größte Gefahr lauerte im Osten, wo der Erzrivale Indien in den Augen Islamabads bedrohlich seine Armee aufblähte und auf den kleineren Nachbarn herabblickte.

So groß war die Feindschaft, dass sich beide Seiten, Pakistan und Indien, schließlich mit Atomraketen bewaffneten. Wenn Pakistans Generäle wieder einmal Argumente brauchten, ihr hohes Budget zu rechtfertigen, dann war die angebliche Bedrohung durch Indien ein stets willkommener Grund.

Doch gibt es Anzeichen, dass sich auch festgefügte Feindbilder in Südasien wandeln können. Nicht dass der Erzfeind Indien völlig ausgedient hätte. Doch ein anderer und zunehmend gefährlicher Feind lauert nun im Inneren. Es sind die pakistanischen Taliban TTP und deren zahlreichen losen Verbündeten, die als Terrorgruppen Anschläge gegen Minderheiten, den Staatsapparat und die Armee verüben. Sie gelten als zerstritten, zersplittert, vielleicht sogar geschwächt. Aber die Kraft, um Anschläge zu verüben, die eine ganze Nation erschüttern, haben sie noch immer.

Der pakistanische Staat hat islamistische Militanz nicht immer bekämpft. Manchmal nutzte er sie auch für eigene Interessen. Als es galt, die Sowjets aus Afghanistan zu vertreiben, half Pakistan den USA, Gotteskrieger gegen den russischen Feind jenseits der Grenze aufzurüsten.

Die pakistanische Armee hatte sich danach daran gewöhnt, sich der Milizen als leicht steuerbare Werkzeuge zu bedienen. Doch damit dürfte es vorbei sein, wie die zahlreichen Anschläge beweisen, mit denen die Extremisten Vergeltung für die Militäroffensive in Wasiristan üben.

Atommacht will vor Aufständischen nicht einknicken

Mit den afghanischen Taliban unterhalten die Gruppen der TTP zwar Verbindungen, sie sind aber eigenständige Netzwerke geblieben, die sich im Laufe der Jahre immer deutlicher dem Ziel verschrieben, den pakistanischen Staat mit seiner jetzigen demokratischen Verfassung zu zerschlagen.

Ideologisch untermauern sie ihren Kampf mit dem nicht nur in militanten Kreisen verbreiteten Feindbild Amerika. Armee und Regierung in Islamabad prangern die Aufständischen als Handlanger Washingtons an.

Der pakistanische Analyst Hasan Askari Rizvi sieht die Armee unter enormem Druck, die Hochburgen der Taliban in Wasiristan unter ihre Kontrolle zu bekommen. Zum einen, weil die Atommacht vor den Aufständischen nicht einknicken und damit Glaubwürdigkeit verlieren will; zum anderen, weil Pakistan ein Interesse daran hat, die Grenzgebiete zu Afghanistan besser in den Griff zu bekommen, bevor die US-Truppen aus dem Nachbarland abgezogen sind.

Ansonsten könnte es passieren, dass sich pakistanische und afghanische Taliban-Fraktionen enger zusammenschließen, womöglich mit dem Ziel, den pakistanischen Staat noch unerbittlicher unter Beschuss zu nehmen.

Kenner der Region betonen jedoch, dass es äußerst schwierig sein dürfte, die staatliche Kontrolle, noch dazu mit militärischen Mitteln, auf die sogenannten Stammesgebiete auszuweiten. Keine Macht hat dies je ernsthaft versucht. Aber weder Regierung noch Armee wollen jetzt wohl klein beigeben: Der Feind ist ihnen inzwischen zu unheimlich geworden.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2014
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