Süddeutsche Zeitung

Ostukraine:Vier Mordanklagen im Fall MH17

Lesezeit: 2 min

Ermittler kündigen knapp fünf Jahre nach dem Abschuss des Passagierjets einen Prozess an - wohl ohne die Beschuldigten.

Von Florian Hassel, Warschau

Knapp fünf Jahre nach dem Abschuss eines Passagierflugzeuges über der Ostukraine haben die Niederlande drei ehemalige oder aktive russische Geheimdienstoffiziere und einen ukrainischen Rebellenführer wegen Mordes angeklagt und weltweit zur Fahndung ausgeschrieben. Am 17. Juli 2014 war zu Beginn des Krieges in der Ostukraine Malaysia-Airlines-Flug MH17 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur über einem Acker beim Dorf Perwomaiskoje abgeschossen worden - alle 298 Passagiere und Besatzungsmitglieder kamen ums Leben.

Mehr als 50 Ermittler und 25 Staatsanwälte aus den Niederlanden, Australien, Belgien, Malaysia und der Ukraine fanden heraus, dass MH17 von einem mobilen Flugabwehrgeschütz der russischen Armee abgeschossen wurde. Offenbar hatten die Soldaten das Passagierflugzeug irrtümlich für einen Militärtransporter der ukrainischen Luftwaffe gehalten. Die niederländische Staatsanwaltschaft erhob nun Mordanklage gegen vier ihrer Meinung nach für den Abschuss Verantwortliche.

An ihrer Spitze steht Igor Girkin, Ex-Oberst des russischen Geheimdienstes FSB und 2014 "Verteidigungsminister" der von Moskau organisierten und unterstützten "Volksrepublik Donezk" (DNR). Angeklagt wurden auch Sergej Dubinskij und Oleg Pulatow, Offiziere des russischen Militärgeheimdienstes GRU und 2014 die Geheimdienstchefs der DNR. Alle drei leben heute in Russland. Der vierte Angeklagte Leonid Chartschenko ist ein ukrainischer Rebellenkommandeur.

Der niederländische Chefankläger Fred Westerbeke präsentierte bei einer Pressekonferenz abgehörte Telefonate, bei denen Girkin angesichts der drohenden Niederlage gegen die damals übermächtige ukrainische Armee eine Änderung der Moskauer Strategie und massive militärische Unterstützung durch Russland forderte, etwa durch Panzer und Luftabwehrgeschütze. Dies war ab Juni 2014 der Fall. Das mobile Flugabwehrgeschütz, das Flug MH17 mit einer Buk-Boden-Luft-Rakete abschoss, gehörte zur 53. Brigade der russischen Armee und wurde von seiner Basis im russischen Kursk in die Ostukraine verlegt.

Das niederländische Recht erlaubt, nicht nur die Ausführenden, sondern auch die Organisatoren eines Verbrechens zur Verantwortung zu ziehen. Der Prozess wird am 9. März 2020 in Den Haag beginnen. Da Russland seine Staatsbürger prinzipiell nicht an andere Staaten ausliefert und der vierte Angeklagte Chartschenko in der russisch kontrollierten Ostukraine lebt, wird der Prozess voraussichtlich in Abwesenheit der Angeklagten geführt. Chefankläger Westerbeke zufolge hat Moskau kein Rechtserhilfeersuchen oder andere Fragen beantwortet - etwa zu Befehlsketten oder zum Standort der 53. Brigade.

Der niederländischen Staatsanwaltschaft zufolge ist die Anklage womöglich nur die erste im Fall MH17. Ihre Beweise werden die Staatsanwälte erst ab März 2020 im Gerichtssaal vorstellen. Bekannte Indizien indes reichen bis in die Spitze des russischen Staates. So präsentierte Westerbeke Aussagen des damaligen DNR-"Ministerpräsidenten" Alexander Borodai, denen zufolge russische Militärgeheimdienstler und Wladislaw Surkow, rechte Hand von Präsident Wladimir Putin für die Ostukraine, Haupthelfer bei der Militärhilfe gewesen seien. 2015 legte Moskau im UN-Sicherheitsrat sein Veto gegen ein UN-Tribunal zum Fall MH17 ein. Moskau bestreitet offiziell jede Verantwortung für den Abschuss.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4492715
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.06.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.