Süddeutsche Zeitung

Organspende:Frage des Gewissens

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Viele Menschen sind zur Organspende bereit. Trotzdem fehlen Transplantate. Mehr Geld für Krankenhäuser kann das Problem verringern. Aber muss man die Menschen zwingen, über das Thema nachzudenken?

Von Kristiana Ludwig

Mehr als 9000 Patienten in Deutschland warten im Augenblick auf eine Organtransplantation. Doch obwohl in Umfragen drei von vier Bürgern angeben, dass sie einer Organspende grundsätzlich zustimmen würden, gab es im vergangenen Jahr nur 955 Spender. Die Lücke zwischen Reden und Tun ist verheerend.

Als eine Ursache dafür, dass bloß ein Drittel der Deutschen den Organspendeausweis ausgefüllt hat, vermuten viele Politiker einen Vertrauensverlust nach den Skandalen der vergangenen Jahre: Ärzte hatten Wartelisten so manipuliert, dass die eigenen Patienten bei der Transplantation bevorzugt wurden. Die niedrigen Zahlen werfen aber auch ein schlechtes Licht auf den jüngsten Bundestagsbeschluss zum Thema: Vor sieben Jahren hatte ein breites Bündnis von Abgeordneten dafür gestimmt, dass Krankenkassen ihren Mitgliedern Organspendeausweise nach Hause schicken sollen, auch der heutige Minister Jens Spahn (CDU) gehörte dazu. Millionen orangefarbene Pappkarten landeten aber ganz offensichtlich im Papierkorb.

Die Parlamentarier wollten damals parteiübergreifende Einigkeit demonstrieren, sie hatten genug von gereizten Ethikdebatten. Seither haben sich ihre Ansichten jedoch gewandelt: Politiker aller Lager wünschen heute eine Gewissensentscheidung im Parlament, die Abgeordnete vom Fraktionszwang befreit.

Es ist ein guter Weg, den der Bundestag diesmal eingeschlagen hat. Schließlich berührt das Thema die Auseinandersetzung jedes Menschen mit seinem eigenen Tod. Was mit dem Körper nach dem Versagen des Gehirns passieren soll, hat mit persönlicher Weltanschauung zu tun und viel mit den eigenen Ängsten. Entsprechend nachdenklich klang auch die erste Orientierungsdebatte im November.

Gesetze, die das Sterben betreffen, brauchen Ruhe. Wenig sensibel ist dagegen die Art, wie Jens Spahn dieses Thema zur politischen Profilierung nutzt. So hat er nicht nur zurückhaltende Mitbürger im Herbst mit einer Bild-Schlagzeile erschreckt: "Organe spenden soll Pflicht werden". Am Montag preschte er dann mit einem Gesetzentwurf zur Widerspruchslösung vor. Diejenigen Abgeordneten, die das Gesundheitsministerium gebeten hatten, auch eine Regelung zu formulieren, bei der Bürger weiterhin aktiv einwilligen müssen, bevor sie Organe abgeben, wurden von Spahns Vorstoß überrollt.

Dabei liegen die Vorstellungen der Gruppe um Spahn und SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach und die der Befürworter einer "bewussten Entscheidung" um Annalena Baerbock (Grüne) bei näherer Betrachtung gar nicht so weit auseinander. Beide wollen den zerknickten Ausweis im Portemonnaie durch ein zentrales Register ersetzen, das die Entscheidungen der Menschen dokumentiert. Ärzte, die einen Sterbenden betreuen, sollen in Zukunft konsequent nachschauen. Und Hausärzte, die ihre Patienten gut kennen, sollen mit ihnen über Organspenden sprechen. Unstrittig ist auch, dass die Ausstattung der Krankenhäuser ein wesentlicher Grund dafür ist, dass bislang so wenige Organe entnommen werden. Eine entsprechende Reform fand kürzlich große Zustimmung im Parlament.

Es bleibt die Frage, ob es reichen wird, die Menschen künftig öfter zu ermahnen, über eine Spende nachzudenken, oder ob sie erst eine automatische Organabgabe zu diesen Gedanken zwingt. Dies gilt es gründlich abzuwägen.

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Quelle:
SZ vom 02.04.2019
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