Süddeutsche Zeitung

Österreich-Kolumne:Hektik hinter den Kulissen

Lesezeit: 3 min

Über die jüngste Aufregung in Österreichs Politik hat sich unfassbar schnell Staub gelegt. Was macht eigentlich Ex-Kanzler Kurz im Moment?

Von Cathrin Kahlweit

Bevor wir uns der Aktualität widmen, möchte ich Sie kurz mit in die Vergangenheit nehmen: Der "Fotograf der Befreiung" heißt eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Wien, die in diesen Tagen leider schon zu Ende geht. Sie zeigt Fotos des legendären Jewgenij Chaldej, von dem viele Deutsche vor allem ein berühmtes Foto kennen: Ein sowjetischer Soldat befestigt in luftiger Höhe die Flagge mit Hammer und Sichel auf dem Reichstag, im Hintergrund erstreckt sich das zerbombte, zertrümmerte Berlin.

Was ich nicht wusste: Chaldej war auch beim Vormarsch der Roten Armee auf Wien dabei gewesen. Am 16. März 1945 hatten sowjetische Soldaten in Westungarn mit 640 000 Mann die "Wiener Angriffsoperation" gestartet; die Wehrmacht stand ihnen mit 410 000 Mann gegenüber. Bei der Schlacht um Wien starben, liest man in der Ausstellung, schließlich 18 000 Soldaten der Roten Armee und etwa 19 000 Wehrmachtssoldaten, 9000 Tote lagen noch Tage danach in den Straßen.

Persönliche Geschenke an die Nachwelt

Es ist faszinierend, sich die Bilder von Chaldej anzuschauen, den Schock, die Trauer, die Ungläubigkeit, das Entsetzen in den Gesichtern, die von einer unfassbaren Freude über das Ende des Krieges abgelöst werden. Allein die Fotos, auf denen strahlende Soldaten vor dem befreiten Parlament stehen, das die Nazis als Gauhaus benutzt hatten, und auf dessen Stufen wenig später Karl Renner als Kanzler der provisorischen Regierung, strahlend den Hut schwenkend, freie Wahlen ankündigen würde, sind wie persönliche Geschenke an die Nachwelt.

Ebenso bewegend ist es, Chalej, der als offizieller Kriegsberichterstatter in die Stadt kam, in alten Aufnahmen zuzuhören, wenn er erzählt, wie ihn junge Soldaten gebeten hätten, ein letztes Foto von ihnen zu machen, falls sie fallen - und es der Mama daheim zu schicken. Er tat das tatsächlich immer wieder, wie hätte er einen solchen Wunsch ablehnen können, sagt er, aber einmal habe ihm eine fassungslose Mutter zurückgeschrieben: Wie es sein könne, dass sie am selben Tag ein Foto ihres Sohnes und die Mitteilung über seinen Heldentod in der Post gehabt habe? Ach, sagt der große Künstler, "es ist so traurig, wenn das Foto bleibt und der Mensch geht." Chaldejs gesamte Familie ist von den Nazis ermordet worden.

Man wird ganz demütig, wenn man seine Bilder sieht und dann hinaustritt auf den Judenplatz in Wien, in die strahlende Herbstsonne und weiter Richtung Ballhausplatz und Parlament. Viele Dinge relativieren sich, auch wenn sie sich im Hier und Jetzt wie ein kleiner Weltuntergang oder ein großer Skandal anfühlen.

Die Getreuen von Ex-Kanzler Kurz ruhen nicht

Man nehme etwa die aktuelle politische Lage in Österreich: Nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz als Kanzler tut die ÖVP so, als sei eigentlich nichts geschehen und Alexander Schallenberg quasi schon seit Menschengedenken Kanzler - was über hektische Aktivitäten hinter den Kulissen hinwegtäuschen soll. Der Ex-Kanzler lässt sich kaum sehen; derweil heckt er vermutlich ein neues Projekt Ballhausplatz aus.

Von politisch interessierten Menschen hört man jedenfalls, dass einige seiner Getreuen, die offiziell wegen der Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Urlaub sind, in Wirklichkeit gar nicht ruhen, sondern weiter hinter den Kulissen die Strippen ziehen und die politische und mediale Landschaft im Sinne ihrer Auftraggeber pflegen.

Auch die SPÖ tut merkwürdigerweise so, als sei eigentlich nichts geschehen. Das Window of Opportunity, das sich Pamela Rendi-Wagner und ihrem Team mit dem sogenannten Seitenschritt von Kurz auftat, hat sie jedenfalls nicht genutzt, um hindurchzuklettern oder auch nur hindurchzuwinken. Vielleicht kann es die SPÖ derzeit einfach nicht besser.

Die Grünen tun, was soll man sagen, auch so, als sei nichts geschehen und die Koalition mit der ÖVP ein ewiger Glücksfall - was man in ihrem Fall verstehen kann. Sie immerhin nutzen die Gunst der Stunde und setzen ein paar ihrer Lieblingsprojekte um, solange der Wind of Change in ihre Richtung weht. Das kann sich schnell ändern, wenn die türkise ÖVP aus der Versenkung auftaucht; siehe oben.

Einen Teil der Reformarbeit, die ansteht, machen derweil andere. Die Neos etwa haben ein Medientransparenzpaket im Parlament vorgelegt. Margit Kraker und der Rechnungshof haben ein neues Parteiengesetz formuliert, das auf schmerzhafte Weise klarmacht, was alles geht in Österreichs Parteienlandschaft, das nicht gehen sollte. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat eventuell eine Kronzeugin, vielleicht aber auch nur eine Beschuldigte, die vorsichtshalber umfassend ausgesagt hat.

Es wird also gearbeitet, nur nicht immer von denen, von denen man es erwartet. Aber was soll's. Es scheint, als habe sich, unfassbar schnell, schon wieder Staub gelegt über die ganz große Aufregung. Und alles bleibt, wie es ist. Irgendwie und auf seine ganze eigene Weise ist das Land damit ja auch seit den Zeiten, in denen Jewgenij Chalej mit seiner Kamera durch Wien streifte, gut gefahren. Relativ gesehen.

Diese Kolumne erscheint am 29. Oktober 2021 auch im Österreich-Newsletter, der die Berichterstattung zu Österreich in der SZ bündelt. Gleich kostenlos anmelden .

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