Süddeutsche Zeitung

Österreich:In Trippelschritten voran

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Zwei österreichische ÖVP-Ministerinnen und Vertraute des ehemaligen Kanzlers Kurz erklären ihren Rücktritt. Kurz vor dem Parteitag möchte die Volkspartei wieder die alte sein, aber nicht alt wirken.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte in den vergangenen Jahren, in denen Aufstieg und Fall von Ex-Kanzler Sebastian Kurz den Erregungsgrad in der österreichischen Politik bestimmten, ungewöhnlich viel zu tun mit Entlassungen und Vereidigungen. Skandale, Korruptionsvorwürfe, Ermittlungsverfahren gegen immerhin 18 ehemalige und gegenwärtige ÖVP-Politiker sowie gegen die Partei selbst, aber auch Burn-outs und Überforderung führten dazu, dass unter anderem der Finanzminister, zwei Gesundheitsminister, der Innenminister und die Arbeitsministerin ersetzt werden mussten.

Nur die Hälfte des Personals, mit dem Kurz in seiner zweiten Amtszeit vor anderthalb Jahren angetreten war, ist noch im Amt; auf seinen eigenen Rücktritt im vergangenen Herbst folgten wiederum zwei Bundeskanzler. Jetzt kommt erneut Arbeit auf Van der Bellen zu. Am Montag traten überraschend die Landwirtschafts- und die Wirtschaftsministerin zurück, die beide eng mit der Ära Kurz verbunden waren.

In den kommenden Tagen muss der Präsident also, wie am Dienstag bekannt wurde, einen neuen Minister, eine neue Staatssekretärin und einen neuen Staatssekretär vereidigen. So soll in aller Eile das, was der Standard als "Chaos" bezeichnet, vor dem ÖVP-Parteitag am Samstag in Graz aufgeräumt sein.

Denn dann will sich Karl Nehammer, Nachfolger von sowohl Kurz als auch Interims-Kanzler Alexander Schallenberg, formal zum ÖVP-Chef wählen lassen, was er bisher nur kommissarisch war. Er will sich aber offenbar und vor allem endgültig absetzen vom Stil und der Devotheit der türkisen Bewunderungsorgien, in die Parteitage unter Kurz zuletzt ausgeartet waren. Die ÖVP soll wieder seriöser wirken, soll heraus aus den Negativschlagzeilen und in den Umfragen wieder zulegen, in denen sie zuletzt hinter der SPÖ dümpelte.

Die Neuaufstellung der Partei ist ein mühsamer Balanceakt

Nehammer, Ex-Generalsekretär und selbst lange bekennender Kurzianer, will die Ära seines beschädigten Vorvorgängers endlich hinter sich lassen - ohne sich aber allzu demonstrativ vom nach wie vor einflussreichen Polit-Influencer und Freund loszusagen. Es ist ein mühsamer Balanceakt, der mit der Regierungsumbildung, einer dezent veränderten Parteifarbe und einem Parteinamen, der auf das von Kurz erfundene "neu" verzichtet, nur in Trippelschritten vorankommt. Die Volkspartei will wieder die alte sein, aber nicht alt wirken.

Kurz hatte in einem schmeichlerischen Interview in der Kronen Zeitung am vergangenen Wochenende zwar Spekulationen über seine Rückkehr in die Politik bestritten. Dennoch tritt er auf dem Parteitag auf, wo er seinem Nachfolger trotz aller Solidaritätsbekundungen zeitweilig die Show stehlen dürfte. Fortbleiben mochte er offenbar nicht; ob ihn eine Bitte um Nichterscheinen erreichte, ist nicht bekannt. Der in der Öffentlichkeit regelmäßig erhobene Vorwurf, die Partei habe ein Korruptionsproblem, hat in der ÖVP dazu geführt, dass eine klare Absage an das "System Kurz" mit einem Verrat an der gemeinsamen Sache gleichgesetzt wird. Öffentliche Absetzbewegungen sind daher bis heute ausgeblieben.

Das demonstrierten, auf ihre Weise, zuletzt auch Elisabeth Köstinger und Margarete Schramböck in ihren Rücktrittserklärungen am Montag. Beide hatte Kurz ins Kabinett geholt, vor allem erstere gilt bis heute als dessen U-Boot in der Regierung. Köstinger, die wie ihr Mentor Kurz in die Privatwirtschaft wechseln wird, bewies in ihrer Erklärung auch, wie viel sie von diesem gelernt hat: Sie hob dessen Bedeutung für ihre Karriere, aber auch ihren Rücktritt hervor, um dann minutenlang große Erfolge aufzulisten, die sie sich selbst auf die Fahnen schreibt.

Es erscheine ihr "fast unglaublich", so die scheidende Landwirtschafts- und Tourismusministerin, was "in meinem Zuständigkeitsbereich alles gelungen ist". Sie habe schon selbst gehen wollen, als Kurz im Herbst ging, sei dann aber geblieben, um große Projekte fertigzustellen. Folgerichtig pries sie sich selbst für "Weitblick und Weitsicht", für den "nicht enden wollenden Kampf" gegen die Übermacht der Handelskonzerne oder auch für ihren "großen Wurf" beim Gewässerschutz. Kritische Nachfragen waren nach ihrem Auftritt nicht gestattet.

Beide Ministerinnen bedankten sich bei Ex-Kanzler Kurz

Wenige Stunden später folgte die Erklärung von Wirtschafts- und Digitalministerin Margarete Schramböck. Diese strotzte weniger vor Selbstbewusstsein als ihre Kollegin Köstinger und gab ihre Erklärung vorsichtshalber nur per Videobotschaft ab. Aber auch sie bedankte sich ausdrücklich bei Ex-Kanzler Kurz, der sie in die Politik geholt habe.

Zahlreiche Kommentare, die Kanzler Nehammer nach dem überfälligen Abschied der beiden Kurzianerinnen sogleich mehr Freiraum, die Chance auf eigenes Personal und eine eigene Handschrift attestierten, erwiesen sich allerdings schnell als überoptimistisch. Denn wo Kurz sein Kabinett nach unbedingter Loyalität aussuchte, stellte nun die traditionelle ÖVP ihre bekannten Forderungen. Weil Schramböck aus Tirol stammt, forderte der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter, ein neues Regierungsmitglied müsse aus Tirol stammen.

Und weil Köstinger aus dem Bauernbund, einer mächtigen ÖVP-Vorfeld-Organisation, kommt, war alsbald die Forderung zu hören, mindestens ein neues Regierungsmitglied müsse von einem der Bünde gestellt werden. Der neue Landwirtschaftsminister, Norbert Totschnig, erfüllt nun prompt beide Bedingungen: Er ist Tiroler und stammt aus dem Bauernbund. Die Aufgaben in den Ministerien werden umgeschichtet, Arbeitsminister Martin Kocher übernimmt auch das Wirtschaftsministerium, erhält aber mit Susanne Kraus-Winkler eine für Tourismus zuständige Staatssekretärin, die aus der Wirtschaftskammer ins Kabinett wechselt. Direkt aus dem Büro des Tiroler Landeshauptmanns stammt der designierte Staatssekretär für Digitalisierung und Breitband, Florian Tursky.

Nehammer betonte auf einer Pressekonferenz am Dienstag mehrmals, wie viel Häme, Spott und Herablassung die scheidenden Ministerinnen hätten aushalten müssen. Gut möglich, dass das seine Form der Referenz an den Vorgänger war. Auch der hatte im Krone-Interview seine Rolle und die Rolle der ÖVP als Opfer der Umstände betont - und beklagt, wie "furchtbar" die "Kultur der Anzeigen, der Verleumdungen und des Versuchs, mit dem Strafrecht Politik zu machen", in Österreich geworden sei.

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