Süddeutsche Zeitung

Österreich-Kolumne:Infantile Politik

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Mit den veröffentlichten Chat-Protokollen aus höchsten Regierungskreisen wird ein Streben nach totalitärer Kontrolle sichtbar, das gefährliche Ausmaße angenommen hat.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Man könnte es als Posse abtun, schwankend in der Einschätzung, ob das nun eine Komödie oder eine Tragödie ist. Am treffendsten ist wohl die Bezeichnung Seifenoper: Fast jeden Tag werden in Österreich Chatprotokolle veröffentlicht, die Einblick geben in das Agieren der höchsten Repräsentanten der Republik.

Die Nachrichten, die Kanzler, Kanzleramtsminister und ein Spitzenbeamter ausgetauscht haben, zeigen, wie Politik gemacht wird. "Kriegst eh alles, was du willst", schreibt Kanzler Sebastian Kurz an seinen Adlatus Thomas Schmid, der sich selbst eine "Schmid AG" zimmern konnte - vom Finanzministerium aus wurde Schmid zum Chef der Öbag befördert, in der die milliardenschweren Beteiligungen des Bundes verwaltet werden.

Für den Aufsichtsrat wurden Frauen gesucht, um die "Scheiß Quote" zu erfüllen. Und diese Frauen sollten "steuerbar" sein. "Ich liebe meinen Kanzler", schreibt Schmid nach der Zuteilung des Jobs. Wäre das nicht schon peinlich genug, so beginnt das Fremdschämen spätestens dann, wenn man auf die zahllosen Emojis mit Küsschen und starkem Oberarm stößt, die zwischen den Machtträgern ausgetauscht werden - eine Infantilisierung der Politik.

Postenschacher gab es immer schon in Österreich, Interventionen bei den Medien wegen kritischer Berichterstattung auch. Aber hier wird ein Streben nach totalitärer Kontrolle und Manipulation medialer Berichterstattung öffentlich, das gefährliche Ausmaße angenommen hat. Wie Macht missbraucht wird und wie Menschen gedemütigt werden, zeigt der Chat über ein Gespräch, das Schmid mit dem Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, führte. Offenbar als Revanche für Kritik an der Flüchtlingspolitik der Regierung sollten Steuerprivilegien der Kirche hinterfragt werden. Der Kanzler feuerte den Beamten an: "Bitte Vollgas geben." Schmid jubelt in seiner Replik: "Yea! Das taugt mir voll." Hinterher berichtete er: "Also Schipka war fertig! Er war zunächst rot dann blass dann zittrig."

Welche Sicht der Chef der konservativen Volkspartei, die auf ihre christlichen Wurzeln verweist, auf die Kirche hat, dürfte auf einen Teil der Wähler abstoßend wirken - womit die "Buberl-Protokolle", wie sie in österreichischen Medien genannt werden, eine nachhaltige politische Wirkung haben könnten.

Während Jörg Haider einst junge Männer, seine "Buberlpartie", wie einen Hofstaat um sich versammelte, sitzt diese Truppe nun an den Schalthebeln der Republik. Es wird öffentlich mit Emotionen und intern mit Emojis regiert. Sätze wie "Tu es für mich" geben Einblick in den Politikbetrieb, über den der jetzige Finanzminister Gernot Blümel in orthografisch nicht ganz korrekter Form jammerte: "Ja alles ein Schass".

Aber all das ist kein Grund für eine öffentliche Debatte über Anstand in der Politik, ein Anlass für eine Entschuldigung oder gar einen Rücktritt - zumindest in Österreich nicht. Für Thomas Schmid wurde in dieser Woche eine österreichische Lösung gefunden. Der von ihm handverlesene Aufsichtsrat nahm zur Kenntnis, dass Schmid seinen Vertrag 2022 auslaufen lässt. Und Finanzminister Blümel rang sich in einem TV-Auftritt nur zur Erkenntnis durch, in diesen Chats "nicht unbedingt immer die passende Formulierung" gewählt zu haben. Thomas Bernhard schrieb in seinem Stück "Heldenplatz" so treffend: "Österreich selbst ist nichts als eine Bühne, auf der alles verlottert und vermodert und verkommen ist."

Diese Kolumne erscheint am 9. April 2021 auch im Österreich-Newsletter der SZ. Hier kostenlos anmelden.

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