Süddeutsche Zeitung

Österreich-Kolumne:Der Win-Windel-Effekt

Lesezeit: 3 min

Warum auf Englisch formulierte Nachrichten in Österreich alles andere als subtile Botschaften sind. Und was die hohen Corona-Zahlen für den Tourismus in Tirol bedeuten.

Von Cathrin Kahlweit

"I hope you all had a wonderful holiday season!" Dass ich meine ersten Worte in meinem ersten Newsletter 2022 auf Englisch schreibe, soll keine subtile Botschaft sein, dass ich demnächst in einem englischsprachigen Land arbeiten werde; dieser Teil meiner Biografie liegt bereits hinter mir.

Aber ich finde den Trick, Berufswechsel oder Umzüge in der jeweiligen Landessprache anzukündigen, tatsächlich sehr schlau. Es klingt aufstiegsorientiert, kosmopolitisch, souverän und sprachgewandt. Man sollte das generell einführen: Eine Urlaubsmeldung mit dem Wort "Ciao" macht so dem Chef unmittelbar klar, dass man seine freien Tage in Italien zu verbringen gedenkt, und der endgültige Schritt in die Frührente auf den Kanaren könnte mit "No voy a volver" deutlich gemacht werden.

Sie ahnen gewiss, worauf ich hinauswill: Als der junge Altkanzler seine Weihnachtsgrüße an das österreichische Volk auf Englisch twitterte, war das ein erstes Signal, dass er bald auf eine weite Reise gehen würde. Und als er zum neuen Jahr wiederum, etwas gespreizt, auf Englisch allen ein gutes neues Jahr wünschte, war klar, wohin diese Reise geht. Far, far away. Sein Sohn dürfte das nicht verstanden haben, er spricht noch keine Fremdsprachen. Aber vielleicht darf er ja ab und zu den erfolgreichen Daddy bei Peter Thiel besuchen und wächst zweisprachig auf. Ein Win-Windel-Effekt, so to say.

Für das Virus ist es praktisch, dass es sich nicht ständig umgewöhnen muss

An Thiel haben sich mittlerweile die meisten österreichischen und deutschen Medien abgearbeitet, auch die SZ, und in allen Texten mischt sich Faszination mit Grusel (SZ Plus). Ich persönlich würde auch gern viel Geld verdienen und als Consultant wichtige Strategien mit wichtigen Menschen entwickeln, aber Thiel hat sich bei mir noch nicht gemeldet, da kann ich so viel Englisch schreiben, wie ich will. Some guys have all the luck.

Aber zurück nach Österreich, was ja derzeit auch viele Menschen aus aller Welt anzieht, auch wenn sie nicht alle Altkanzler, sondern meist nur Skifahrer oder Skilehrer sind und Omikron im Flugzeug mitbringen oder aber sich die Covid-19-Variante im mittlerweile weltbekannten Lokal "Kitzloch" in Ischgl einfangen. Für das marodierende Virus ist es praktisch, wenn es seine Opfer dort findet, dann muss es sich nicht ständig umgewöhnen.

Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt in Tirol derzeit doppelt so hoch wie im Durchschnitt der Republik, was ein unwillkommener, aber offenbar unvermeidlicher Kollateralschaden der boomenden Tourismusindustrie zu sein scheint. Weil Landeshauptmann Günther Platter sein Bundesland im Allgemeinen und die Pandemiebekämpfung im Besonderen so erfolgreich managt, wird er jetzt von Parteifreunden als ÖVP-Kandidat für die Wahl des nächsten Bundespräsidenten gehandelt. Sollte er gewählt werden, wäre das für die Tiroler Tourismusindustrie allerdings ein großer Verlust. Vielleicht könnte er sich deshalb das Amt als moderner Präsident mit seinem Parteifreund, Seilbahnbetreiber, Hotelier und Chef des Tiroler Wirtschaftsbundes, Franz Hörl, teilen - Jobsharing im Dienste der Republik sozusagen.

Wollen wir wirklich auf die Wiederauflage eines titanischen Ringens verzichten?

Platter als - zugegeben eher unwahrscheinlicher - Kandidat wäre indes ein weiteres Zeichen dafür, dass die alte ÖVP sich Stück um Stück ihre Macht zurückholt. Gerald Fleischmann oder Elli-es-ist-vorbei-Köstinger werden jedenfalls derzeit nicht für das hohe Amt gehandelt. In Deutschland hat sich jetzt die Union mit sich selbst darauf geeinigt, dass man den Ampel-Präsidenten Frank-Walter Steinmeier unterstützen wird. Es gibt dafür einige inhaltliche und ein arithmetisches Argument; CDU/CSU hätten mutmaßlich schlechte Chancen, um in der Bundesversammlung einen Gegenkandidaten durchzusetzen. Als weiterer Grund wird aber auch die dünne Personaldecke in der Union angeführt. Wer soll es denn sonst machen, nun, da Friedrich Merz versorgt ist?

Es wäre natürlich auch in Österreich möglich, dass sich die ÖVP darauf einigt, den populären Präsidenten Alexander Van der Bellen zu unterstützen, sollte dieser noch einmal antreten. Ein Grund wäre die dünne Personaldecke, ein anderer die Anerkenntnis, dass dieser einen sehr guten Job gemacht hat. Andererseits: Wollen wir wirklich auf eine Neuauflage des titanischen Ringens zwischen Van der Bellen und Norbert Hofer (von der FPÖ) verzichten?

Der ewig lange Wahlkampf 2016 mitsamt der erfolgreichen Anfechtung der Stichwahl, der Verschiebung des Zweittermins wegen schlecht klebender Briefumschläge und mit eskalierenden, weil unmoderierten TV-Duellen war ein historisches Ereignis. Erst neulich habe ich bei einem Umzug mein T-Shirt mit der Aufschrift "Ich war dabei - Bundespräsidentschaftswahlkampf 2016 ff" in die Altkleidersammlung gegeben. War wahrscheinlich ein Fehler.

Vielleicht hätte ich es mit überklebter Jahreszahl noch mal brauchen können. Aber vielleicht gründe ich auch im Silicon Valley eine Bekleidungsfirma und werde reich, indem ich T-Shirts verkaufe mit dem Aufdruck: "You will you still wonder, what all possible is." Aufstiegsorientiert und sprachgewandt, oder?

Diese Kolumne erscheint am 7. Januar 2022 auch im Österreich-Newsletter, der die Berichterstattung zu Österreich in der Süddeutschen Zeitung bündelt. Gleich kostenlos anmelden .

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