Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Zschäpe lässt Verteidiger auflaufen

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Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Ob Beate Zschäpe am Donnerstag doch noch festgestellt hat, dass es ihre langjährigen Verteidiger gut mit ihr meinen, ist fraglich. Die mutmaßliche NSU-Terroristin spricht auch an diesem 345. Hauptverhandlungstag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München kein Wort mit Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm. Stattdessen torpediert sie deren Verteidigungsstrategie. Einen Ablehnungsantrag gegen sämtliche Richter des Senats trägt die Hauptangeklagte nicht mit.

Die Verteidiger hatten das Gericht um eine lange Pause gebeten, um einen Befangenheitsantrag gegen die Richter zu formulieren. Richter Manfred Götzl fragt die Angeklagte daraufhin direkt: "Frau Zschäpe, ist das von Ihnen getragen?" Zschäpe schüttelt den Kopf. Ihre Verteidiger würdigt sie dabei keines Blickes, geschweige denn eines Wortes. Damit ist ein solcher Antrag unzulässig. Nur eine Angeklagte kann die Sorge äußern, dass die Richter ihr gegenüber befangen sind. Dass ihre Verteidiger diese Sorge haben, reicht nicht.

Zum wiederholten Male geht es an diesem Tag um die Notizen des psychiatrischen Sachverständigen. Psychiater Henning Saß hat Zschäpe begutachtet, er hat festgestellt, dass sie im Falle ihrer Verurteilung im Sinne der Anklage voll schuldfähig und weiter gefährlich ist. Mit Zschäpe gesprochen hat der Psychiater nicht. Um einen Eindruck von ihrer Persönlichkeit zu bekommen, vielleicht Zeichen einer möglichen Abkehr vom rechtsextremen Gedankengut, Zeichen von glaubhafter Reue oder Erschütterung über die überwiegend rassistisch motivierten Verbrechen der mutmaßlichen Neonazi-Terrorzelle NSU zu erkennen, blieb Saß das Studium der Akten, die Aussagen der Zeugen und die Beobachtung von Zschäpe im Gerichtssaal. Aus all dem hat er seine Schlüsse gezogen. Schlüsse, die dem Gericht dabei helfen, Zschäpe als Rechtsterroristin für Jahrzehnte einzusperren.

Psychiater Saß hat still beobachtet und sich Notizen gemacht. 773 Seiten sind zusammengekommen. Und den Inhalt dieser 773 Seiten wollen Heer, Stahl und Sturm gerne kennen. Denn diese Notizen bilden die Grundlage für das psychiatrische Gutachten, in dem Saß wenig Zweifel daran lässt, dass er Zschäpes behaupteter Unschuld keinen Glauben schenkt.

Kaum Empathie erkannt

Saß hat bei der Angeklagten kaum Empathie erkannt. Stattdessen hat er Zschäpe als kontrollierte und selbstbewusste Frau erlebt, die sich - auch gegenüber ihren Anwälten - zu behaupten weiß. Ihre Angaben vor Gericht, vorgelesen von Herman Borchert, dem Anwalt ihres Vertrauens, überzeugten den Psychiater nicht. Darin wurde Zschäpe quasi als Opfer ihrer Lebensgefährten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt dargestellt.

In vielen Variationen hat das Gericht entschieden, dass Saß den konkreten Inhalt seiner Notizen nicht verraten muss. Zuletzt hat das Gericht am Donnerstag den Antrag abgelehnt, die Mitschriften zu beschlagnahmen. Das nächste juristische Mittel wäre der Befangenheitsantrag gegen den Senat gewesen. Doch das hat Zschäpe verhindert. Es ist offenkundig, dass sie Stahl, Heer und Sturm nicht mehr als ihre Anwälte betrachtet.

Die drei lassen sich davon nicht beirren. Und Stahl zeigt kurz darauf, was offensive Verteidigung heißt. Am späten Nachmittag beginnt er, Saß' Beobachtungen von Zschäpes Verhalten auseinanderzunehmen. Mit so freundlich formulierten wie hartnäckigen Fragen bringt er den Psychiater mehr und mehr ins Schwimmen. Woher kommen denn die Kriterien, anhand derer Saß bei Zschäpe eine anhaltende Neigung zu Straftaten ausgemacht haben will, fragt er zum Beispiel. Saß verweist auf seine langjährige Erfahrung, seinen Schüler, der zum Thema habilitiert habe, und auf "die Literatur". Mehr kommt da nicht. Stahl lässt nicht locker. Er fragt und fragt. Saß wirkt zunehmend unruhig.

Diesmal ist es Zschäpe, die das Verhalten des Psychiaters beobachtet. Und am Ende des Verhandlungstages schaut sie sogar ihren Altverteidiger an. Stahl verteidigt sie. Ob sie will oder nicht.

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