Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Rätsel um die blonde Frau neben Zschäpe

Lesezeit: 3 min

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Heike B. wirkt, als fände sie die Fragen ziemlich lächerlich. Ihre Schüchternheit zu Beginn ihrer Befragung am Mittwoch im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München hat sie zügig abgelegt. Nach wenigen Minuten klingt die 43-jährige Krankenschwester aus Berlin, gebürtig in Sachsen, nicht mehr leise und gehemmt, sondern genervt.

Es geht um die mutmaßliche Ausspähung einer Synagoge durch die NSU-Terroristen. Ein Wachmann hat beobachtet, wie Beate Zschäpe am 7. Mai 2000 zusammen mit Uwe Mundlos, einer blonden Frau und einem weiteren Mann im Außenbereich des Cafés "Wasserturm" nahe der Synagoge an der Rykestraße im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg mit Plänen hantierte.

Auf Fahndungsfotos, die im Fernsehen gezeigt wurden, erkannte der Wachmann Zschäpe und Mundlos am selben Abend wieder. Er meldete sich umgehend beim Landeskriminalamt (LKA). Der LKA-Beamte, der den Wachmann damals vernommen hat, erinnerte sich vor wenigen Wochen im NSU-Prozess noch gut daran, wie sicher der Zeuge in seiner Beobachtung gewesen ist. Aber wer waren die blonde Frau und der zweite Mann an der Seite von Zschäpe und Mundlos?

"Kennen Sie Frau Zschäpe und Uwe Mundlos?", fragt der Richter Heike B. an diesem Tag im NSU-Prozess. "Nein, kenne ich nicht", sagt die Zeugin. Auch Jan W. sei ihr unbekannt. Jan W. war einst Anführer der Neonazi-Organisation "Blood & Honour Sachsen". Es gibt Hinweise, dass er versucht haben soll, Waffen für die untergetauchten Neonazis Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zu besorgen. "Kennen Sie Jan W.", fragt nun also der Richter. "Der Name sagt mir nichts", behauptet Heike B.

Der Richter zeigt Heike B. Fotos, aufgenommen in Berlin im Jahr 2000. Die Bilder zeigen: Heike B. mit blonden Haaren, ihre Zwillingsschwester Annett W. mit schwarz gefärbten Haaren - und Jan W. Doch Heike B. bleibt dabei: Sie wisse nicht, wer der Mann sei, der auf dem Bild neben ihr steht. Der Richter hakt nach. Aber die Zeugin sagt nur: "Völlig unbekannt."

Die Fotos stammen vom sächsischen Verfassungsschutz, der Jan W. damals beobachtete. Dadurch ist belegt, dass Jan W. am 7. Mai 2000 in Berlin war. Selbst der Verfassungsschutz vermerkt in einem Bericht, dass er es für wahrscheinlich hält, dass Jan W. an jenem Tag Zschäpe, Mundlos und wohl auch Uwe Böhnhardt getroffen hat. Jan W. könnte also der zweite Mann im Café neben der Synagoge gewesen sein. Und die Frau?

Der Verfassungsschutz stellte damals fest, dass Jan W. an jenem Tag mehrfach mit einer Frau telefonierte. Sie soll Mitglied der rechten Szene gewesen sein. Ihr Name ist im Bericht nicht vermerkt, was bei mehreren Opferanwälten für Argwohn sorgt und die Frage aufwirft, ob sie möglicherweise V-Frau, also Informantin des Verfassungsschutzes, war. Die Beschreibung passt insgesamt weniger auf Heike B. als vielmehr auf ihre Zwillingsschwester.

Während Heike B. sagt, sie sei nie rechts gewesen, gehörte ihre Schwester Annett schon zur Neonazi-Szene, als sie noch in Sachsen wohnte. Ende der Neunzigerjahre ist sie nach Berlin gezogen. Der Vater ihrer Kinder ist der ehemalige Chef der inzwischen verbotenen Neonazi-Gruppe "Blood & Honour Deutschland". Ist also an diesem Tag die falsche Zwillingsschwester vor Gericht befragt worden?

Viel ist von Heike B. nicht zu erfahren

"Auf dem Foto trägt Ihre Schwester dunkle Haare. Ist das ihre natürliche Haarfarbe?", fragt Antonia von der Behrend, Vertreterin der Nebenklage. "Nein", sagt Heike B. Die Zeugin klingt, als verliere sie langsam die Geduld. "Wie lange hatte Ihre Schwester dunkle Haare?", fragt die Anwältin. "Keine Ahnung", sagt die Zeugin, ihre Schwester habe ihr Haar mal schwarz, mal blond getragen. Viel mehr ist von Heike B. an diesem Tag nicht zu erfahren.

Zschäpe selbst hat zugegeben, im Frühjahr oder Sommer 2000 mit Böhnhardt und Mundlos in Berlin gewesen zu sein. Sie hätten einfach mal aus Chemnitz, wo sie damals wohnten, rauskommen wollen, behauptete sie. In Berlin seien sie "ab und zu in ein Café gegangen", der Name "Wasserturm" sei ihr jedoch "unbekannt", ließ sie ihren Anwalt Ende Oktober vor Gericht vortragen. Und weiter: "Ich hatte mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu keinem Zeitpunkt eine Synagoge aufgesucht oder ausgespäht. Ich kenne keine Synagoge in Berlin."

Nur vier Monate nach der Beobachtung des Wachmannes in Berlin verübten die NSU-Mitglieder den ersten Mord in Nürnberg. Neun weitere Morde folgten. Die Neonazis erschossen neun Männer türkischer und griechischer Herkunft und eine deutsche Polizisten. Sie verübten zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle. Zschäpe ist wegen sämtlicher Verbrechen als Mittäterin angeklagt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3295662
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.