Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Für die Bundesanwaltschaft ist Zschäpe eine rassistische Serienmörderin

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Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Beate Zschäpe zeigt keine Regung. Scheinbar unbeeindruckt hört sie zu, wie Bundesanwalt Herbert Diemer am Dienstag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München das härteste Urteil fordert, das der deutsche Rechtsstaat kennt: lebenslange Freiheitsstrafe, Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und anschließende Sicherungsverwahrung. Mehr geht nicht. Deutlicher kann die Bundesanwaltschaft nicht machen, dass sie die mutmaßliche NSU-Terroristin für Jahrzehnte hinter Gittern wissen will.

Die Bundesanwaltschaft sieht es nach mehr als vier Jahren Prozess als erwiesen an, dass sich die heute 42-Jährige unter anderem der Mittäterschaft an neun rassistisch motivierten Morden an Migranten, einem Mord an einer Polizistin, mehr als 30 Mordversuchen, zwei Bombenanschlägen und 15 Raubüberfällen schuldig gemacht hat. 14 Mal fordert Bundesanwalt Diemer für einzelne Taten eine lebenslange Freiheitsstrafe, für die Raubüberfälle Haftstrafen zwischen sechs und neun Jahren Haft. "Die Gesamtstrafe kann da nur eine lebenslange Freiheitsstrafe sein", sagt er schließlich.

An sieben vorangegangenen Prozesstagen hatten Oberstaatsanwältin Anette Greger und Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten detailliert dargelegt, warum sie die Schuld von Zschäpe und auch die ihrer vier Mitangeklagten Ralf Wohlleben, Carsten S., Andre E. und Holger G. in vollem Umfang für erwiesen halten.

Zschäpe selbst behauptete, sie habe immer erst hinterher von den Morden und Anschlägen erfahren und mit Entsetzen reagiert. Die Bundesanwaltschaft ist vom Gegenteil überzeugt: "Frau Zschäpe hat sich möglicherweise nie selbst die Finger schmutzig gemacht, sie hat aber alles gewusst und alles mitgetragen", sagt Bundesanwalt Diemer.

Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hätten "bei vollem Verstand" ein Leben geführt, dass "sich über 13 Jahre hinweg durch Terror, Mord und Raub definierte". Alle drei hätten "deutlich gezeigt, dass ihnen Menschenleben völlig gleichgültig sind", so Diemer. "Sie haben fast schon massenhaft Verbrechen gegen das Leben anderer Menschen begangen" und "das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung in außergewöhnlich schwerwiegenderweise erschüttert".

Für die Bundesanwaltschaft ist Zschäpe eine rassistische Serienmörderin, auch wenn sie selbst nicht geschossen und keine Bomben gelegt hat. Zschäpe zeige bis heute keine echte Reue und wirke gegenüber den Opfern "eher empathielos", so Diemer. Er stellt fest: "Zeichen einer Abkehr vom terroristischen Gedankengut hat sie nicht zu erkennen gegeben."

Zum Schutz der Bevölkerung hält es die Bundesanwaltschaft für notwendig, dass Zschäpe auch nach Verbüßen einer lebenslangen Freiheitsstrafe hinter Schloss und Riegel bleibt und fordert die Anordnung der Sicherungsverwahrung. Sicherungsverwahrung gilt nicht als Strafe, sie dient dem Schutz der Allgemeinheit vor Tätern, die weiter als gefährlich gelten. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft ist Zschäpe gefährlich.

Dass die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung bei Zschäpe grundsätzlich gegeben sind, hatte Oberstaatsanwältin Greger bereits zuvor festgestellt. Dass Diemer die Anordnung tatsächlich fordert, ist dennoch bemerkenswert.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH), der bei einer Revision für die Überprüfung des Urteils im NSU-Prozess zuständig ist, hat mehr als einmal entschieden, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung zusätzlich zur lebenslangen Freiheitsstrafe mit Feststellung der besonderen Schuldschwere überflüssig ist. Bei einem entsprechenden Urteil käme Zschäpe ohnehin erst dann aus dem Gefängnis, wenn sie nicht mehr gefährlich ist. Wenn sie aber nicht mehr gefährlich ist, muss die Gesellschaft auch nicht weiter vor ihr geschützt werden. Die Sicherungsverwahrung ist also obsolet, entschied der BGH in anderen Fällen - und hob die Anordnung wieder auf.

Wohllebens Frau ist den Tränen nahe

Der Bundesanwalt sagt dazu nun, diese Entscheidungen stünden der Sicherungsverwahrung von Zschäpe "nicht entgegen", sie hätten auf einem Recht beruht, "das hier auf den entscheidenden Zeitraum nicht gilt".

Nach dem Willen der Bundesanwaltschaft sollen auch die vier Mitangeklagten mehrere Jahre ins Gefängnis. Wohlleben und Carsten S. sollen dem NSU die Tatwaffe organisiert haben, mit der Mundlos und Böhnhardt neun Migranten erschossen haben. Laut Bundesanwaltschaft haben sie damit Beihilfe zum Mord in neun Fällen geleistet. Für Wohlleben fordern die Ankläger eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren, für Carsten S. unter Anwendung von Jugendstrafrecht drei Jahre Haft. Wohlleben wirkt geschockt. Seine Frau, die neben ihm sitzt und seine Hand hält, scheint den Tränen nahe.

Carsten S. war zur Tatzeit erst 20 Jahre alt, also ein Heranwachsender. Er ist zudem der einzige voll geständige Angeklagte und glaubhaft reumütig. Schon vor Jahren ist er aus der Neonaziszene ausgestiegen. Wohlleben hingegen ist nach wie vor Rechtsextremist. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft hat er nicht nur geholfen, die Waffe zu besorgen, sondern als "steuernde Zentralfigur" auch die Hilfe weiterer Unterstützer für die drei Untergetauchten organisiert.

Für Dienstagnachmittag wird die Strafforderungen der Bundesanwaltschaft gegen die beiden weiteren Angeklagten Holger G. und Andre E. erwartet.

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