Süddeutsche Zeitung

NSA:Jahrelang gelauscht

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Auch mit Ban Ki Moon konnte Merkel nicht vertraulich sprechen. Die NSA überwachte sie umfassender als bekannt.

Von John Goetz und Hans Leyendecker, München

Der US-Geheimdienst NSA hat nach Informationen von Wikileaks Bundeskanzlerin Angela Merkel noch intensiver ausgespäht, als bisher bekannt war. Die Enthüllungsplattform veröffentlichte am frühen Dienstagmorgen ein als geheim eingestuftes Dokument über ein offenbar abgehörtes Gespräch Merkels mit dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon im Dezember 2008.

Im vergangenen Jahr hatten die Süddeutsche Zeitung sowie NDR und WDR unter Berufung auf Wikileaks-Unterlagen berichtet, dass die NSA systematisch das Kanzleramt und etliche Ministerien ausgespäht habe. Aus den Unterlagen ging unter anderem hervor, dass die NSA ein Gespräch der Kanzlerin im Oktober 2011 mit einer Vertrauten über die damaligen Verhandlungen der EU in Sachen Griechenland belauscht hatte. Insgesamt soll der US-Geheimdienst über die Jahre mindestens 145 Spähziele in der Bundesregierung gehabt haben.

Ban soll Merkel telefonisch für ihren Kampf gegen den Klimawandel gelobt haben

Das jetzt von Wikileaks veröffentlichte Protokoll eines offensichtlich abgehörten Gesprächs lässt vermuten, dass die Kanzlerin über einen längeren Zeitraum belauscht wurde. Das Protokoll über das Gespräch mit dem UN-Generalsekretär Ban datiert aus dem Jahr 2008. Ban soll Merkels Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel und ihre entsprechende Überzeugungsarbeit bei den EU-Kollegen gelobt haben. Merkel soll sich optimistisch gezeigt haben, in diesem Bereich Fortschritte erzielen zu können.

Ein weiteres Dokument befasst sich mit einem Treffen Merkels mit dem damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und dem damaligen italienischen Premier Silvio Berlusconi im Oktober 2011. Ein Berlusconi-Berater soll die Begegnung als "angespannt und sehr harsch gegenüber der italienischen Regierung" bezeichnet haben.

Kürzel auf den alten und den neuen Geheimdokumenten lassen den Schluss zu, dass bei den Lauschangriffen der Special Collection Service (SCS) im Einsatz war, eine Einheit von NSA und CIA. Sie soll unter anderem in Berlin und Frankfurt sowie in Mailand und Rom Abhöranlagen betrieben haben - oder betreiben. Die neue Wikileaks-Lieferung gehört zu einer Serie von Enthüllungen über Spähziele der NSA in mehreren Ländern. Diesmal ist der Schwerpunkt Italien.

Wikileaks scheint also über reichlich geheimes Material zu verfügen. Das viele Material soll zum Teil über das "Submission System", den anonymen Briefkasten von Wikileaks im Internet, hereinkommen. Den Briefkasten gibt es seit der Gründung der Enthüllungsplattform im Jahr 2006. Im Oktober 2010 wurde er wegen interner Streitigkeiten geschlossen. Erst im Mai 2015 stand das "Submission System" , das technisch überarbeitet und an die heutigen Verschlüsselungsstandards angepasst worden war, wieder zur Verfügung. Der Briefkasten soll voll sein, was Wikileaks offenkundig erfreut. Inzwischen soll die einst sehr kleine Einheit mehr als zwanzig Angestellte haben. Diese haben sogar Anspruch auf Urlaub, was es früher nicht gab. Wikileaks hat auch eine Stiftung namens "Courage Foundation" auf den Weg gebracht, die sich um Whistleblower kümmert.

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Quelle:
SZ vom 24.02.2016
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