Süddeutsche Zeitung

NS-Besatzung in Polen:Beamte auf Beutezug

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Ramona Bräu zeigt auf, wie die deutsche Finanzverwaltung im besetzten Polen agierte und mithalf, das Land systematisch auszuplündern. Nötig war dazu nur eine sehr kleine Zahl Deutscher. Nach dem Weltkrieg zur Verantwortung gezogen wurde praktisch niemand.

Von Stephan Lehnstaedt

Um die Reparationsforderungen aus Polen ist es in jüngster Zeit still geworden. Eine offizielle Zahlungsaufforderung hat es sowieso nie gegeben, und nach umfassenden Ermittlungen einer Kommission des Sejm wurde zuletzt beschlossen, eine Art Forschungsinstitut für Kriegsschäden zu gründen. Konkrete Informationen hierzu gibt es noch nicht.

Gerade deshalb kommt ein nüchterner und streng wissenschaftlicher Blick auf die deutsche Ausplünderung Polens im Zweiten Weltkrieg zum richtigen Zeitpunkt. Freilich wird enttäuscht, wer hier auf umfassende Statistiken und neue Berechnungen gehofft hat - Ramona Bräus Dissertation widmet sich der Praxis der Ausbeutung, dem Teil, den die Finanzverwaltung vorangetrieben hat. Natürlich ist das nur ein kleiner Ausschnitt aus den viel umfassenderen Verbrechen, und sicherlich nicht der grausamste. Aber die Studie entstand im Rahmen eines vom Bundesfinanzministerium geförderten Projekts, das die Geschichte dieser Institution im Nationalsozialismus untersucht. Und genau darum geht es: Wie auch scheinbar harmlose Bürokraten in Besatzung und Krieg involviert waren, dazu beitrugen und so die Schreckensherrschaft erst ermöglichten.

Polens Steuerrecht wurde pervertiert

Tatsächlich nahm die Finanzverwaltung dabei eine zentrale Rolle ein - zwar nicht als Speerspitze der NS-Ökonomie und deren Vorstellungen einer Großraumwirtschaft, sondern als elementare Ordnungsmacht. Gerade hierbei erwarben sich die deutschen Beamten ihre Meriten, indem sie das polnische Steuerrecht zu ihren Gunsten pervertierten. Die fiskalische Diskriminierung der Polen, die Freibeiträge für Besatzer oder Steuerschlupflöcher für deutsche Firmen: Es waren diese scheinbar kleinen Dinge, die eine Okkupation erst lohnenswert machten und gleichzeitig als Sozialpolitik große Wirkung entfalteten.

Noch entscheidender hierfür war die Einstufung des Generalgouvernements, des Kernlands des besetzten Polen um die Städte Warschau und Krakau, als Devisenausland: Hamburger und Bremer Kaufleute ließen sich dort nieder, übertrugen ihre Exportkontingente und verkauften diese Waren dann überteuert ins Reich zurück, ohne Umsatzsteuer zu zahlen. Und was auf privatwirtschaftlicher Ebene gelang, war auch im Großen möglich: Das Generalgouvernement steigerte ganz enorm den Notenumlauf, gab das Geld an die stationierten Soldaten aus und überwies gleichzeitig Beiträge nach Deutschland - die Inflation wurde so in die besetzten Territorien exportiert. Freilich nur in diejenigen, die sich außerhalb der Reichsgrenzen befanden und nicht direkt annektiert wurden.

Der Geldabfluss war nicht das Hauptproblem

Und so war das Generalgouvernement 1944 in den Augen Hans Franks, des Generalgouverneurs, "ausgeplündert wie überhaupt kein zweites Land in Europa". Der rein monetäre Beitrag mutet auf den ersten Blick gering an, denn lediglich etwa neun Milliarden Reichsmark - heute knapp 40 Milliarden Euro - flossen tatsächlich ab, weniger als zwei Prozent der deutschen Kriegskosten. Doch das berücksichtigt nicht die geraubten Lebensmittel und Güter, die Arbeitsleistungen oder gar die Kriegsschäden, mit denen sich das Buch nicht beschäftigt.

Außen vor bleiben auch die großen "Arisierungen" etwa durch die Haupttreuhandanstalt Ost oder die SS, die in vielerlei Hinsicht wesentlich radikaler als die Finanzverwaltung agierten, selbst wenn sich deren Zollgrenzschutz immer wieder an der Jagd auf Juden beteiligte. Doch in den Amtsstuben drängten die Beamten auf Enteignung, obwohl die negative Auswirkung auf die lokale Ökonomie ebenso offensichtlich war wie die desaströse persönliche Lage der Opfer. Ihr ganzes Tun war auf die Ausplünderung Polens ausgerichtet und letztlich hocheffizient, denn für 182 Finanzämter waren nur 133 deutsche Beamten notwendig - 90 Prozent der Beschäftigten blieben weiterhin Polen.

"Unpolitisch" ist diese grundlegende Untersuchung daher höchstens im Bereich der deutsch-polnischen Beziehungen. Auf der gesellschaftlichen Ebene stellt sich jedoch die Frage nach der Gestaltungsmacht der Finanzverwaltung und vor allem nach deren Verantwortung: Alfred Spindler, der erste Leiter der Abteilung Finanzen im Generalgouvernement - de facto also der Finanzminister -, sollte zwar in Polen 1947 vor ein Gericht kommen, verstarb aber vor Prozessbeginn. Sein Nachfolger Hermann Senkowsky entging einer Anklage. Die justizielle Aufarbeitung unterblieb damit ebenso wie personelle Konsequenzen, denn wie andere Studien des aktuellen Projekts zum Finanzministerium zeigen, war dort die personelle Kontinuität vor und nach 1945 hoch. Das ist wohl keine Überraschung, sollte allerdings umso mehr Grund sein, über die Folgen fiskalischer Gestaltungsmacht nachzudenken.

Stephan Lehnstaedt ist Professor für Holocaust-Studien und Jüdische Studien am Touro College Berlin.

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