Süddeutsche Zeitung

Nach den Stichwahlen in Nordrhein-Westfalen:Hallo, wir sind die Neuen!

Bonn und Aachen werden erstmals in ihrer Geschichte von grünen Oberbürgermeisterinnen regiert. Ein 31-jähriger Sozialdemokrat führt künftig Mönchengladbach. Und Kölns Stadtdirektor wechselt ins Düsseldorfer Rathaus. Acht Neue in den NRW-Chefsesseln.

Von Jana Stegemann und Christian Wernicke, Düsseldorf

Katja Dörner (Grüne), Bonn

Der grüne Traum ist Wirklichkeit geworden. Katja Dörner hat geschafft, was es noch nie in Nordrhein-Westfalen gab: Sie hat am Sonntag mit 56 Prozent für die Grünen einen Oberbürgermeister-Sessel in einer Großstadt erobert. Und dann auch noch in Bonn, der früheren Bundeshauptstadt. Nach 21-jähriger SPD- und fünfjähriger CDU-Regentschaft gibt es nun einen historischen Machtwechsel in der schmucken Studentenstadt. Die 44-jährige Dörner wechselt nach zehn Jahren im Bundestag, zuletzt als stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, von der Spree an den Rhein. Eines ihrer Ziele für 2025: eine autofreie Innenstadt für Bonn.

Stephan Keller (CDU), Düsseldorf

Die CDU gewinnt das Rathaus in Düsseldorf zurück und stellt nun erstmals wieder in der Landeshauptstadt eines großen deutschen Flächenlandes den Oberbürgermeister. Der 50-jährige Stephan Keller besiegte den bisherigen SPD-Amtsinhaber Thomas Geisel mit 56 Prozent. Dafür kam sogar NRW-Ministerpräsident und CDU-Kanzleraspirant Armin Laschet zum Gratulieren vorbei. Die Düsseldorfer und Stephan Keller hätten damit die "Ehre der CDU" gerettet, sagte Laschet. Düsseldorf wird also künftig von einem Kölner regiert. Keller ist aktuell noch Kölns (beurlaubter) Stadtdirektor und war damit bis zuletzt Henriette Rekers oberster Corona-Krisenmanager. Im Wahlkampf versprach Keller, als Erstes die in Düsseldorf verhassten Umweltspuren abzuschaffen. Er gilt als seriös, aber ein bisschen blass. Also das genaue Gegenteil seines Kontrahenten Thomas Geisel, der als Oberbürgermeister mit öffentlichkeitswirksamen Alleingängen sogar die Bundespolitik in Berlin aufscheuchte. Doch unter keinem wurden so viele Immobilienprojekte durchgesetzt und Sozialwohnungen geschaffen wie während Geisels fünfjähriger Amtszeit.

Felix Heinrichs (SPD), Mönchengladbach

Felix Heinrichs hat etwas geschafft, was es bei den Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen nicht mehr oft gibt: Er hat eine Wahl gewonnen. Haushoch. Mit 74 Prozent besiegte Heinrichs den CDU-Gegenkandidaten in einer bisherigen CDU-Hochburg. Jetzt ist der 31-Jährige (hier ein Porträt von ihm) Oberbürgermeister der 270 000 Einwohnerinnen und Einwohner von Mönchengladbach - und damit jüngster Chef einer Großstadt in NRW. Führungserfahrung hat er schon länger, seit Jahren führt er gemeinsam mit seiner Mutter ein Altenheim.

Sibylle Keupen (Grüne), Aachen

Party im Krönungssaal des Rathauses: Sibylle Keupen hat gut lachen. Eine Stichwahl um das höchste Amt der Stadt gab es in Aachen noch nie, eine Oberbürgermeisterin auch nicht. Doch in 2020 ist alles anders. Und jetzt ist die 57-jährige Grüne Keupen Oberbürgermeisterin von Aachen, der Heimatstadt von CDU-Ministerpräsident Armin Laschet. Die Diplom-Pädagogin hat in den Achtzigern den Ortsverband der Grünen mitgegründet und nun ihren CDU-Gegenkandidaten mit 67,4 Prozent geschlagen.

Thomas Westphal (SPD), Dortmund

"Thomas, Thomas, Thomas" bejubelten die Genossinnen und Genossen am Abend in Dortmund ihren Helden: Thomas Westphal (hier ein ausführliches Porträt), der 53-jährige SPD-Kandidat, hat geschafft, was manche SPD-Mitglieder klammheimlich kaum mehr für möglich hielten: Die SPD hat ihre Trutzburg gehalten, die beinah letzte Festung im Ruhrgebiet. 52 Prozent gab es für Volkswirt Westphal, der bisher als Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung der Stadt Dortmund arbeitete. Die seit 74 (!) Jahren ungebrochene Herrschaft der Sozialdemokraten in ihrer "Herzkammer" währt nun also mindestens fünf weitere Jahre. Verlierer des symbolträchtigen Duells ist der CDU-Politiker Andreas Hollstein (hier ein ausführliches Porträt), bisher Bürgermeister von Altena. Er kam in Dortmund auf 48 Prozent.

Uwe Schneidewind (Grüne), Wuppertal

Die NRW-Grünen haben am Sonntag auch noch die Heimatstadt von SPD-Ikone Johannes Rau erobert. Die Geschicke der Industriestadt Wuppertal werden künftig von einem grünen Wirtschaftsprofessor gelenkt: Uwe Schneidewind gewann in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit 53,5 Prozent gegen Amtsinhaber Andreas Mucke (SPD). Der renommierte Ökonom, der auch von der CDU unterstützt wird, denkt groß. Der 54-Jährige will die hochverschuldete Stadt zu einer Investitionsoffensive antreiben und aus Wuppertal eine Art "Leipzig des Westens" machen. Von kaputt zu hip also. Der frühere Chef des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie verspricht eine "Mobilitätswende," die Bürger sollen ihre hügeligen Straßen per Pedelec bewältigen.

Anna Bölling, Minden-Lübbecke, und Silke Gorißen, Kleve (beide CDU)

Im bevölkerungsreichsten Bundesland gab es bis Sonntag nur eine einzige Landrätin: CDU-Frau Eva Irrgang (2.v.r.) aus Soest, die bereits im ersten Wahlgang im Amt bestätigt worden war. Nun sind zwei neue Landrätinnen hinzugekommen: Anna Bölling (rechts) gewann den ostwestfälischen Kreis Minden-Lübbecke und Silke Gorißen (3.v.r.) den niederrheinischen Kreis Kleve. Die 40-jährige Bölling, die vor einem halben Jahr Zwillinge bekam, gilt als großes Talent und ist das, was ihre Partei so dringend sucht: eine junge Frau mit Führungsqualitäten. Am Niederrhein hatten die Wählerinnen und Wähler 2020 zum allerersten Mal die Möglichkeit, eine Frau an die Spitze ihres Landkreises zu wählen - 54,2 Prozent entschieden sich in der Stichwahl für die 48-jährige Anwältin Silke Gorißen.

Marc Herter (SPD), Hamm

Der SPD-Politiker Marc Herter hat einen der dienstältesten Oberbürgermeister der Republik abgelöst. CDU-Urgestein Thomas Hunsteger-Petermann regierte 21 Jahre die westfälische Stadt Hamm. Viele verspotten die westfälische Metropole als "Stadt der Zugteilung". Der Sozialdemokrat Herter machte sich noch 2018 Hoffnungen auf Höheres als SPD-Oppositionsführer im NRW-Landtag. In Hamm kämpfte Herter mit bodenständigen Themen: schnellere Radrouten ins Zentrum, halbierte Kita-Gebühren, Neubelebung der Innenstadt. Damit konterte Herter mit Erfolg die "Visionen" von Amtsinhaber Hunsteger-Petermann. Auf CDU-Plakaten hieß es, Hamm werde bald "sicherer als Bullerbü", "innovativer als Silicon Valley" und gesünder als die "Schwarzwald-Klinik" sein. Mancher in Westfalen empfand das als großmäulig.

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