Süddeutsche Zeitung

NPD-Verbot:Zeit, die Neonazis zu enttarnen

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Der Verzicht auf V-Leute ist der Einstieg des Staats in den neuen Verbotsantrag gegen die NPD. Zehn Jahre lange wurde der Rechtsextremismus nicht ernst genug genommen. Jetzt ist das Material, das die Verfassungsrichter prüfen müssen, blutbespritzt. Bei einem Verbot der NPD geht es nicht um deren demokratischen Unwert oder den Schutz der anderen Parteien - sondern die Enttarnung einer Gewalttätigkeit, die sich als Partei ausgibt.

Heribert Prantl

Das geplante neue NPD-Verbotsverfahren ist eigentlich gar kein neues Verfahren. Genau genommen ist es die Fortsetzung des alten - um zehn Jahre verspätet. Es waren zehn Jahre, in denen der Rechtsextremismus nicht ernst genug genommen wurde.

Vor zehn Jahren hat das Bundesverfassungsgericht den deutschen Innenministern eindringlich erklärt, warum sie die V-Leute abschalten müssen, bevor das Verfahren weitergehen kann. Die Innenminister haben damals nicht reagiert; sie hielten das für eine Zumutung; sie glaubten vielleicht, die Beweise zur Verfassungsfeindlichkeit der NPD seien so erdrückend, dass sie auch die Fragezeichen erdrücken können, die das Gericht hinter die V-Leute und damit hinter die Zulässigkeit des ganzen Verfahrens setzte.

Die Innenminister haben sich getäuscht. Und sie mussten dann ein Jahrzehnt später erfahren, wie eine rechtsextremistische Bande trotz all dieser angeblich unverzichtbaren V-Leute mordend durchs Land ziehen konnte. Das Entsetzen darüber hat den Entschluss erleichtert, die V-Leute vorläufig außer Dienst zu stellen. Dieser Verzicht ist nun der Einstieg in den neuen Verbotsantrag. Das Verfahren kann weitergehen, jetzt können die Beweise neu zusammengestellt und studiert, jetzt kann die Begründetheit des Verbotsantrags geprüft werden.

Damals, vor zehn Jahren, gelangten die Verfassungsrichter nicht einmal bis zur Prüfung des Materials. Jetzt ist dieses Material, man muss es so sagen, blutbespritzt. Die Programme, Aufrufe, Artikel, Flugblätter und Protokolle sind gezeichnet: Aus extremen Worten sind extreme Taten geworden. Es gibt den dringenden Verdacht, dass die Verklärung des Rassismus und die Ermordung von Muslimen die zwei Seiten der braunen Medaille sind.

Viele Gegendemonstranten gegen braune Marschierer

Es geht nicht um politische Numismatik. Es geht nicht darum, über den demokratischen Unwert der NPD zu urteilen; da gibt es eh keinen Zweifel. Es geht auch nicht darum, die deutsche Demokratie zu schützen; die ist längst nicht mehr so tapsig wie in den Jahren der frühen Bundesrepublik. Die Grundordnung ist so stabil, dass sie vom Getrampel brauner Aufmärsche nicht erschüttert wird. Es ist beruhigend zu erleben, dass sich braunen Marschierern fast jedesmal ein Vielfaches von Gegendemonstranten entgegenstellt; es verwundert nur, dass Polizei und Staatsanwaltschaft (zumal in Sachsen) diesen Protest der Bürgergesellschaft bisweilen kriminalisieren.

Es geht bei einem Verbot der NPD nicht um den Schutz der anderen Parteien, wie die NPD behauptet, sich selbst überschätzend. Keine Partei in Deutschland muss vor der NPD geschützt werden; geschützt werden müssen die Menschen, die in Fußgängerzonen und in Eisenbahn-Abteilen angepöbelt werden, weil sie dem Bild, das die NPD von der deutschen Gesellschaft malt, nicht entsprechen. Geschützt werden müssen die deutsch-türkischen Kleinhändler und ihre Familien, die Angst haben, dass sich die staatliche Reaktion auf die Gewalttaten in der kurzen Gedenkstunde in Berlin vor ein paar Wochen erschöpft hat.

Das NPD-Verbotsverfahren wird die Verbindungslinien zwischen Ideologie und Gewalt nachzeichnen. Es wird dabei eine Rolle spielen, dass etliche führende Mitglieder der NPD den verbrecherischen NSU unterstützt haben: Die NPD ist eine gewaltaffine Organisation. Das ARD-Magazin Report Mainz hat unlängst recherchiert, dass von dieser Partei systematisch Gewalt ausgeht: Etwa 110 Funktionäre und Mandatsträger haben in den vergangenen zehn Jahren 120 Straftaten begangen oder wurden solcher beschuldigt. Im Durchschnitt verging also kein Monat, ohne dass gegen einen NPD-Repräsentanten wegen einer Straftat ermittelt wurde. An der Spitze dieser Straftaten steht die Körperverletzung.

Die NPD ist gewaltgeneigt. Wenn sich die Gewalttätigkeit als Partei tarnt, muss sie enttarnt werden.

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SZ vom 24.03.2012
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