Süddeutsche Zeitung

Nordrhein-Westfalen:Es grünt an der Wupper

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Vor den Kommunalwahlen in NRW am Sonntag sind die Aussichten für eine Partei besonders gut.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Es ist der große Stimmungstest vor dem Wahljahr 2021, und ein Gewinner steht schon fest: Die Grünen dürften bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen an diesem Sonntag nicht nur ihren Stimmenanteil auf landesweit 22 Prozent fast verdoppeln (2014: 11,7). Einer WDR-Umfrage zufolge hat die Partei zudem beste Chancen, erstmals zwei Großstädte im bevölkerungsstärksten Bundesland zu erobern. In Aachen, der Heimatstadt von Ministerpräsident Armin Laschet, wird wohl die Grüne Sibylle Keupen vorn liegen (und als Favoritin in die Stichwahl am 27. September ziehen). Und in Wuppertal könnte Uwe Schneidewind, Ex-Chef des "Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie" als gemeinsamer Kandidat von Grünen und CDU der SPD das Rathaus bereits an diesem Sonntag abjagen - per absoluter Mehrheit. Auch die wahrscheinliche Wiederwahl der parteilosen Henriette Reker in Köln, der einzigen Millionenstadt in NRW, werden die Grünen (gemeinsam mit der CDU) wohl bereits an diesem Sonntag als ihren Erfolg bejubeln.

Diese Ergrünung Nordrhein-Westfalens greift längst tiefer. Das zeigt eine neue Studie des Instituts für Politikwissenschaft der Uni Münster: Ursprünglich grüne Ideen etwa für eine fahrradfreundliche Verkehrspolitik oder eine stärkere Beteiligung von Bürgern an der Stadtplanung würden mehr und mehr zum Konsens auch in CDU, SPD und FDP. "Es gibt da in vielen Parteien ein Umdenken", glaubt der Politikwissenschaftler Norbert Kersting. Diese schleichende Ökologisierung der etablierten Parteien werde vor allem von einer Verjüngung des Personals getragen: "Es sind oft die neuen Mitglieder im Stadtrat, die diese Veränderung tragen."

Kersting und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Jan Philipp Thomeczek haben für ihre Analyse mehr als 1500 Ratsmitglieder in NRW befragt. Und dabei auch Widersprüche entdeckt: Einerseits gibt es einen Trend zu schwarz-grünen Allianzen in den Kommunen. Andererseits dürften sich CDU und Grüne in manchen Politikfeldern weiterhin beharken. Beispiel Innere Sicherheit: 74 Prozent der befragten CDU-Ratsmitglieder befürworten eine verstärkte Videoüberwachung öffentlicher Plätze, 62 Prozent ihrer grünen Kollegen sind dagegen. Beim Klimaschutz fordern 97 Prozent aller grünen Kommunalpolitiker, sämtliche Entscheidungen ihrer Gemeinde auf ihre Auswirkungen auf die Erderwärmung zu überprüfen - wogegen aber jeder zweite CDU-Vertreter opponiert. Es bleibe die Aufgabe der Oberbürgermeister, so Kersting, diese absehbaren Risse in schwarz-grünen Bündnissen wie in Köln zu kitten: "Frau Reker wird sich freuen."

Erwartet wird, dass die grünen Zugewinne auf Kosten von CDU und SPD gehen werden. Die SPD muss befürchten, dass sie im Vergleich zu 2014 (31,4 Prozent) nahezu ein Drittel ihrer Wähler verlieren wird. Allmählich droht, wovor im Frühjahr 2018 Mike Groschek warnte, der damalige SPD-Chef in NRW: "Ohne Erfolg in den Kommunen wird die SPD zu einer Dame ohne Unterleib." Die CDU wiederum muss gegenüber 2014 (37,5 Prozent) zwar geringe Verluste einkalkulieren - aber mit etwa 34 Prozent bliebe sie die bei Weitem stärkste Partei im Land.

Damit könnte Armin Laschet, Noch-Ministerpräsident und doch schon Möchte-gern-Kanzlerkandidat seiner CDU, gut leben. Sinkt seine Landes-CDU jedoch tiefer, würde das Resultat vom Sonntag schnell auch als Votum gegen Laschets Ambitionen in Berlin und als Strafe für seine Rolle als steter Lockerer in der Corona-Krise gedeutet.

Einen kommunalen Triumph wünscht sich Laschet ganz besonders. Würde das Rathaus in der Altstadt von Düsseldorf von der CDU zurückerobert, es wäre die einzige von 16 Landeshauptstädten in der Hand der Union. "Das hätte eine hohe Symbolik", glaubt der Regierungschef. Als wahrscheinlich gilt ein Duell zwischen Amtsinhaber Thomas Geisel von der SPD und dem CDU-Herausforderer Stephan Keller, dann bei der Stichwahl in zwei Wochen.

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Quelle:
SZ vom 12.09.2020
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