Süddeutsche Zeitung

Neuverschuldung:Westerwelles Rechentricks

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Der FDP-Chef und Vizekanzler Guido Westerwelle behauptet, dass die Bundesregierung spart. Doch das Gegenteil ist richtig.

Claus Hulverscheidt

Man mag es nach den Debatten der jüngsten Vergangenheit eigentlich kaum mehr hören, aber immer dann, wenn dieser Tage in der Bundespolitik besonders großer Unsinn erzählt wird, ist Guido Westerwelle nicht weit. In einer Fernseh-Talkshow hat der FDP-Vorsitzende jetzt vorgerechnet, dass die Regierung in diesem Jahr sechs Milliarden Euro weniger an neuen Schulden aufnehmen werde als vom früheren SPD-Finanzminister Peer Steinbrück einst geplant - und das obwohl sie zu Jahresbeginn Hoteliers und besserverdienende Eltern steuerlich entlastet hat. Damit ist nach Lesart des Vizekanzlers der Beweis erbracht, dass Steuersenkungen das Wachstum ankurbeln und sich am Ende auch positiv in der Staatskasse bemerkbar machen.

Das Dumme ist nur, dass die Rechnung von vorne bis hinten falsch ist: Zwar haben die Haushälter von Union und FDP in der Nacht zu Freitag tatsächlich beschlossen, die Nettokreditaufnahme gemessen an Steinbrücks Entwurf um sechs Milliarden auf gut 80 Milliarden Euro zu senken. Was Westerwelle jedoch verschweigt: Die wirtschaftliche Lage stellt sich heute gänzlich anders dar als im Juli des vergangenen Jahres, nämlich deutlich besser. Deshalb sind die Steuerausfälle nicht so gravierend und die Arbeitsmarktausgaben nicht so hoch wie Steinbrück dies seinerzeit befürchtet hatte - was den Haushalt um insgesamt etwa zwölf Milliarden Euro entlastet. Die schwarz-gelbe Regierung gibt also nicht sechs Milliarden Euro weniger aus als die schwarz-rote Vorgängerkoalition, sondern sechs Milliarden mehr.

Man mag es für nebensächlich halten, ob sich der Bund nun zusätzlich 74 Milliarden oder 80 Milliarden Euro bei Banken und Bürgern leihen muss, denn mit einer in etwa doppelt so hohen Neuverschuldung wie im bisherigen Rekordjahr 1996 wird der Haushalt 2010 so oder so in die Geschichte eingehen. Tatsächlich sind die Zahlen nicht viel mehr als das Spiegelbild der Wirtschaftskrise und der vielen staatlichen Programme, die zu ihrer Eindämmung nötig waren.

Was jedoch bedenklich stimmt, ist das Signal, das von diesen Etatberatungen ausgeht: Wie will eine Koalition, die schon im ersten Amtsjahr deutlich mehr ausgibt als sie muss und die für den weiteren Verlauf der Wahlperiode Steuer- und Gesundheitsreformen mit Kosten in jeweils zweistelliger Milliardenhöhe plant, die gigantische Konsolidierungsaufgabe bewältigen, die ihr bevorsteht? Schon 2011 werden Union und FDP mindestens zehn Milliarden Euro im Haushalt einsparen müssen, wenn sie das Grundgesetz und den EU-Stabilitätspakt nicht brechen wollen. Bis 2016 kommen Jahr für Jahr weitere zehn Milliarden dazu.

Um diese Herausforderung zu meistern, bedarf es eines klaren, transparenten und für die Bürger nachvollziehbaren Fahrplans, den die Regierung trotz aller Aufforderungen bis heute schuldig geblieben ist. Was es dagegen nicht braucht, sind billige Rechenspiele derer, die für diese Klarheit sorgen müssten.

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Quelle:
SZ vom 06./07.03.2010
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