Süddeutsche Zeitung

Ehe für alle:Kleiner Schritt, großer Sprung

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Von Heribert Prantl

Niemand hat das geahnt; auch die Fachleute nicht, nicht die Rechtsanwälte und nicht die Richter des Ehe- und Familienrechts, die sich seit Mittwochabend bis Sonntag in Brühl bei Bonn zum 27. Familiengerichtstag treffen. Dort steht alles Mögliche auf der Tagesordnung - Unterhalt, Pflege, Sorgerecht -, aber das Sensationsthema dieser Tage nicht. Der Bundestag wird am Freitag aller Voraussicht nach den Gesetzentwurf "zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts" verabschieden. Niemand hat damit gerechnet. Niemand ist darauf vorbereitet, auch nicht der Familiengerichtstag.

Wie es zu diesem Gesetz gekommen ist, das wird in die Geschichte eingehen: Ein paar Worte der Kanzlerin über die Freigabe der Abstimmung haben eine Eigendynamik ausgelöst, mit der sie wohl selbst nicht gerechnet hatte. Vielleicht wusste die Kanzlerin nicht, dass ein fix und abstimmungsfertiger Gesetzentwurf der SPD vorliegt. So mutmaßt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Von ihr stammt dieser Gesetzentwurf.

Er ist nicht nagelneu - der Entwurf stammt von 2003, wurde ausgearbeitet vom Land Rheinland-Pfalz und von Dreyer im Bundesrat eingebracht; 2015 wurde der Entwurf dort von ihr erneut aufgelegt; er ist mittlerweile gut zwei Dutzend Mal durch die Mühlen der Ausschüsse gedreht worden. Dass daraus wirklich ein Gesetz wird, haben Dreyer und ihre Partei wohl nicht geglaubt. Selbst Volker Beck von den Grünen, den das Thema seit 20 Jahren umtreibt, hat die Entwicklung überrascht. Denn immer stand die CDU/CSU dagegen. Dann kam zu Wochenbeginn das Wort der Kanzlerin, das die Abstimmung für ihre Fraktion freigab - und nun ist alles anders. Dreyer sagte der Süddeutschen Zeitung: "Ich habe das fast nicht glauben können, als ich Merkel im Fernsehen sah."

Karlsruhe urteilte sechs Mal zu gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften

Es stellen sich Fragen über Fragen, auch ganz praktische, die beantwortet werden müssen, wenn nun am Freitag die Ehe für gleichgeschlechtliche Personen Gesetz wird. Seit 2001 gab es die Lebenspartnerschaft, die sogenannte Homo-Ehe. Wird diese Lebenspartnerschaft nun quasi zur Ehe aufgewertet, gibt es ein automatisches Upgrading? Und muss das verpartnerte Paar dann dem Upgrading widersprechen, wenn es die volle Ehe gar nicht will?

Das geplante Gesetz geht einen anderen Weg; es wird nicht so sein, dass die bestehenden Lebenspartnerschaften kraft Gesetzes jetzt in Ehen verwandelt werden. Es gibt vielmehr ein "Opt-in": Eine schon bestehende Lebenspartnerschaft soll auch künftig als solche bestehen bleiben, aber durch eine nachfolgende Erklärung der Lebenspartner in eine Ehe umgewandelt werden können. Ansonsten bleibt sie einfach als Lebenspartnerschaft bestehen. Neueintragungen von Lebenspartnerschaften aber finden in Zukunft nicht mehr statt. Es gibt die Ehe für alle, sonst nichts.

Künftig gilt für die Ehe von gleichgeschlechtlichen Partnern das, was auch für die Ehe von heterosexuellen Partner gilt: Die Ehe birgt alle Rechte und Pflichten. Der Weg dahin war weit und mit Urteilen des Bundesverfassungsgerichts gepflastert. Zuletzt fehlte der Lebenspartnerschaft nur noch das Adoptionsrecht von Kindern. Alle anderen Rechte waren Stück für Stück in das Gesetz über die Lebenspartnerschaft eingefügt worden, auf Druck des Verfassungsgerichts. Sechs Mal urteilte Karlsruhe - am wichtigsten war wohl die steuerrechtliche Gleichstellung von Ehen und Lebenspartnerschaften.

Ende 2015 hat dann ein Gesetz zur "Bereinigung des Rechts der Lebenspartner" das gesamte deutsche Recht penibel durchforstet - Strafrecht, Mietrecht, Erbschaftsrecht -, um wirklich überall für Gleichstellung zu sorgen. Nur beim Adoptionsrecht gab es die Gleichstellung nicht. Insofern ist die volle Ehe nun nur noch ein kleiner Schritt - der trotzdem hoch bedeutsam ist: Nun wird aus der Lebenspartnerschaft eine normale bürgerliche Ehe. Künftig muss ein Mensch nicht mehr, wenn und weil er sich als "verpartnert" bezeichnet, seine sexuelle Orientierung offenlegen; jetzt steht ja die "Ehe" für homo- und heterosexuelle Paare gleichermaßen.

Mit dem Begriff "verpartnert" musste jemand auch seine sexuelle Orientierung offenlegen

Muss aber da nicht auch noch das Grundgesetz geändert werden? Es schützt die Ehe im Artikel 6: "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung", heißt es da. Das Grundgesetz definiert aber die Ehe nicht, es nennt auch nicht den Grund für diesen besonderen Schutz. Es steht dort nirgendwo, dass die Ehe die Verbindung von Mann und Frau ist. Insofern meint die moderne Verfassungsinterpretation, die Ehe sei offen auch für eine andere Beschreibung als die bisher gängige. Man könne als Ehe im Sinn des Grundgesetzes also nicht nur die Verbindung von Mann und Frau, sondern auch von Frau und Frau und von Mann und Mann beschreiben.

Als das Bürgerliche Gesetzbuch am 1. Januar 1900 in Kraft trat, war das Prinzip der Geschlechtsverschiedenheit so selbstverständlich, dass es dazu nicht eines einzigen Wortes im Gesetz bedurfte. Es findet sich auch keines. In den noch älteren Gesetzen war das nicht anders; Hauptzweck der Ehe sei "die Erzeugung und Erziehung der Kinder" heißt es etwa im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794.

In dieser Tradition hat das Verfassungsgericht es bisher zum "Kernbereich" der Ehe erklärt, dass sie zwischen Mann und Frau geschlossen wird. Zugleich hat das Gericht aber stets betont, dass das Grundgesetz kein besonderes Ehebild festschreibe und hat, aus Gründen des Diskriminierungsschutzes, die Lebenspartnerschaft gestärkt.

Das Institut der Ehe sei vom Grundgesetz in der Ausgestaltung garantiert, "wie sie den jeweils herrschenden, in der gesetzlichen Regelung maßgebend zum Ausdruck geplanten Anschauungen entspricht". So sieht das Karlsruhe. Daraus folgern immer mehr Verfassungsrechtler: Der Gesetzgeber könne, auch ohne Grundgesetzänderung, die Ehe für alle per einfachem Gesetz erlauben. Anders gesagt: Es braucht keine ausdrückliche Grundgesetzänderung. Aber klarstellenden Charakter hätte sie schon.

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SZ vom 29.06.2017
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