Süddeutsche Zeitung

Neuanfang in Libyen:Ein König für Gaddafis Thron?

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Als die Revolutionäre unter Gaddafi den libyischen Monarchen stürzten, war Mohammed al-Senussi noch ein Kind. Jetzt lebt der rechtmäßige Thronfolger in England - und hält sich als neues libysches Staatsoberhaupt bereit: "Wenn das Volk mich ruft, stehe ich zu Diensten."

Rudolph Chimelli

Schon in den ersten Tagen des Aufstands sammelten sich die Rebellen gegen Diktator Muammar al-Gaddafi unter der alten Fahne von König Idris, den die Revolution vor vier Jahrzehnten gestürzt hatte. Mädchen bemalten ihre Gesichter in den Farben Rot-Schwarz-Grün, die nun auch über Tripolis wehen. Ob aber die Sehnsucht nach den alten Zeiten so groß ist, dass nach Gaddafis Sturz die Monarchie wiederhergestellt wird, ist zweifelhaft.

Der Thronprätendent wäre bereit. "Wenn das Volk mich ruft, stehe ich zu Diensten", sagt Kronprinz Mohammed al-Senussi im Londoner Exil. "Allein das Volk entscheidet, ob auf das Chaos unter Gaddafi eine Republik oder eine Monarchie folgt." Der 48-jährige Mohammed al-Hassan al-Rida al-Mehdi al-Senussi ist ein Großneffe des früheren Königs Idris. Dieser beherrschte das Land von 1951, als es die Briten in die Unabhängigkeit entließen, bis zu seiner Vertreibung durch Gaddafi 1969.

Der König gab Libyen damals eine Verfassung, die nach Ansicht von Prinz Mohammed noch immer gilt. Die Praxis des Regiments von Idris entsprach nicht westlichem Verständnis von Demokratie. Vielmehr stützte er sich auf die traditionelle Loyalität und Verehrung, welche die Stämme vor allem im östlichen Landesteil der Cyrenaika dem Mystiker-Orden der Senussi entgegenbrachten. Die Familie beruft sich auf Abstammung vom Propheten Mohammed.

Der Kronprinz Mohammed war fast sieben Jahre alt, als Panzer der Revolutionäre 1969 vor seinem Elternhaus in Tripolis vorfuhren. Es liegt im Viertel al-Dhara, nahe des Grünen Platzes, auf dem Gaddafi später seine Triumphe feierte. Der Vater des heutigen Kronprinzen wurde damals verhaftet, des Haus geplündert. Mohammed und sein Bruder durften den Vater wöchentlich im Gefängnis besuchen, wo er eine dreijährige Strafe absaß. Nach seiner Freilassung lebte die Familie sieben Jahre unter Hausarrest. Besucher wurden gefilzt.

Der Prinz steht auf Seiten der Rebellen

Das Haus ließ Gaddafi 1984 abreißen, während die Familie zusah, wie die Einrichtung in Brand gesetzt wurde. Gleichzeitig wurde die Senussi-Moschee in der östlichen Oase Dschaghbub, das Zentrum des Ordens mit dem Grab des Ordensgründers, abgebrochen. Später erlaubte Gaddafi dem Kronprinzen, nach einem Schlaganfall zusammen mit seinem damals 16-jährigen Sohn nach England auszureisen. Nach seinem Tod wurde der Vater nach Saudi-Arabien überführt und in Medina beigesetzt, wo auch Ex-König Idris begraben liegt.

Heute lebt Prinz Mohammed in bescheidenen Verhältnissen in London. Er ist unverheiratet, gilt als sportlich und liebt das Schwimmen, Reiten und Bergsteigen. Die Rebellen unterstützt er seit Beginn des Aufstands. So verlangte er eine Flugverbotszone über Libyen und Luftangriffe auf die Armee des Regimes. "Gaddafi versteht nur eine Sprache: die der Gewalt", begründete der Kronprinz seine Haltung.

Vor dem EU-Parlament plädierte er auf Einladung konservativer britischer Abgeordneter im April für eine Zukunft Libyens als konstitutionelle Monarchie, gestützt auf Demokratie, Menschenrechte, einen Rechtsstaat und eine integre Regierung. Die Frage nach einer Monarchie sei "nicht vorrangig". Der revolutionäre Übergangsrat hat eine Restauration zumindest öffentlich bisher nicht in Erwägung gezogen.

Neben Prinz Mohammed stellt noch ein weiterer Großneffe von König Idris Thronansprüche. Obwohl er reich ist, wird er von Libyern weniger ernst genommen. Auch das Nachschlagewerk "Debrett's Peerage", die britische Autorität für die Genealogie von Herrscherhäusern, stuft ihn geringer ein.

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SZ vom 27.08.2011
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