Süddeutsche Zeitung

Nepal:Blockade im Süden

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Nepals neuer Premier muss einen Grenzstreit mit Indien lösen: Wichtige Versorgungsrouten werden blockiert, im Land wird der Treibstoff knapp. Hintergrund ist der Konflikt um die neue nepalesische Verfassung.

Von Arne Perras, Singapur

Der Machtwechsel in Nepal war unter den Parteien abgesprochen, die Wahl von Premier Khadga Prasad Oli am Sonntag kam keineswegs überraschend. Viel unwägbarer ist nun, wie der neue Regierungschef, der als Nachfolger des glücklosen Sushil Koirala am Montag vereidigt wurde, die wachsenden Probleme des Himalaja-Staates anpacken wird. Die Krise ist überall sichtbar, ganz besonders vor den Tankstellen des Landes, wo jeder, der etwas Benzin ergattern will, immer noch tagelang Schlange stehen muss.

Die Grenzübergänge nach Indien sind seit Wochen weitgehend blockiert, was dem Staat im Himalaja hart zusetzt. Er ist vollkommen abhängig vom großen Nachbarn im Süden, von dort bezieht das Land seinen Treibstoff und die meisten anderen überlebenswichtigen Güter. So schlimm sind die Verhältnisse, dass Kathmandu schon erwog, Treibstoff aus Bangladesch einzufliegen.

Der jetzt gewählte Premier Oli hat Indien beschuldigt, hinter der Blockade zu stecken, was Delhi jedoch strikt zurückweist. In den südlichen Ebenen Nepals, durch die wichtige Versorgungsrouten verlaufen, ist ein Aufstand zweier Ethnien entflammt, die gegen die neue Verfassung rebellieren. Bei gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sind seit Ende August mehrere Dutzend Menschen gestorben, ein politischer Ausgleich mit diesen aufständischen Gruppen gilt jetzt als vordringliche Aufgabe für den neuen Premier.

Indiens Zollbeamte hatten offenbar Anweisungen bekommen, alle Trucks nach Nepal besonders gründlich zu untersuchen, seitdem dort das Chaos ausgebrochen war. Und manche machten keinen Hehl daraus, dass so etwas eben lange dauert. Den Vorwurf eines Würgegriffs wollte sich die indische Regierung dennoch nicht gefallen lassen.

Der Streit darüber, wer nun eigentlich blockiert - der große Nachbar oder doch eher wütende Demonstranten - ist noch nicht beigelegt. Bekannt ist jedoch, dass Indien starke Vorbehalte gegen die neue Verfassung hat und auch möchte, dass Kathmandu auf die Sorgen der rebellierenden Madhesis eingeht. Diese Volksgruppe siedelt nördlich und südlich der Grenze, sowohl in Nepal als auch in Indien, und manche ihrer Anführer behaupten, dass die dominanten Parteien Nepals die Minderheiten unterdrückten.

Ein Kolumnist der Nepali Times brachte hingegen zum Ausdruck, was viele andere denken. Demnach versucht die Großmacht Indien, das kleine Land so lange zu strangulieren, bis es indischen Interessen nachgebe. Auffällig sei, dass kein Staat der Welt Nepal in Zeiten der Blockade beistehe, weil es sich niemand mit dem riesigen Markt Indien verscherzen wolle.

Doch was Delhi mit einem angeblichen Würgegriff bezwecken könnte, können auch Kritiker in Nepal nicht genau benennen. Dass es Verstimmungen gibt, ist offenkundig. Hindu-nationalistische Kreise in Indien sind zum Beispiel frustriert darüber, dass der Nachbarstaat eine säkulare Verfassung verabschiedet hat, anstatt dem Staat ein religiöses Fundament zurückzugeben. Das Hindu-Königtum war vor neun Jahren abgeschafft worden, als aufständische Maoisten sich nach langem Bürgerkrieg zum Frieden bereit erklärten und die Waffen niederlegten.

Der neue Premier galt vor langer Zeit als linker Revolutionär, wird nun aber als konservativ eingestuft. "Mir ist bewusst, dass mich die Leute als illiberalen Hardliner sehen und als Anti-Madhesi", sagt Oli. "Aber ich werde ihnen durch meine Taten zeigen, dass ich deren Forderungen berücksichtige." Das aber ist noch nicht alles, was auf ihn zukommt. Denn jenseits des Streits über die Verfassung warten auch noch Hunderttausende Überlebende des Erdbebens vom April darauf, dass die lange verzögerte Aufbauhilfe endlich bei ihnen im Katastrophengebiet ankommt.

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Quelle:
SZ vom 13.10.2015
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