Süddeutsche Zeitung

Nato:Radar, Rechner und Raketen

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Das Bündnis nimmt in Rumänien das erste Abwehr-System in Betrieb, um ballistische Flugkörper aus Iran oder Ländern des Nahen Ostens abfangen zu können. Russland aber sieht darin einen feindseligen Akt.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Glaubt man der russischen Militärdoktrin, dann wird die Welt wieder ein bisschen gefährlicher an diesem Donnerstag. Das Dokument von 2014 listet äußere militärische Risiken auf. Ziemlich weit oben steht da die "Stationierung strategischer Raketenabwehrsysteme". Dies unterminiere die "globale Stabilität" und gefährde das bei den Nuklearraketen bestehende Gleichgewicht. Die russischen Reaktionen sind also vorauszusehen, wenn an diesem Donnerstag auf dem rumänischen Militärstützpunkt Deveselu bei Bukarest im Beisein von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ein neues Raketenabwehrsystem in Betrieb genommen wird.

Für Stoltenberg ist das ein wichtiger Termin. Wenn die Staats- und Regierungschefs der Nato Anfang Juli zum Gipfel in Warschau zusammenkommen, können Fortschritte beim 2010 in Lissabon auf US-Betreiben beschlossenen Aufbau einer Nato-Raketenabwehr vermeldet werden. In Warschau soll das Projekt weiter vorangetrieben werden und in den Zwanzigern dann vollständig zur Verfügung stehen.

Schon jetzt sind im spanischen Rota vier US-Schiffe mit Raketenabwehrsystemen im Einsatz. Hinzu kommt eine Frühwarn-Radarstation in der Türkei. Die Kommandozentrale befindet sich auf dem US-Stützpunkt in Ramstein. Die offizielle Inbetriebnahme der Station in Rumänien ist wichtig, weil es das erste System dieser Art an Land ist, das in Europa in Dienst geht. Es vereint Radar, Rechner und Abfangraketen. Schon am Freitag soll der Grundstein für eine weitere Anlage dieser Art in Polen gelegt werden. Sie soll 2018 in Betrieb gehen.

Präsident Putin sieht in den Schutzschild-Plänen ein "Streben nach absolutem Triumph"

Das alles, so bekundeten die Staats-und Regierungschefs der Nato während des Gipfels 2014 in Wales, diene dem Schutz der Bevölkerung vor "den zunehmenden Bedrohungen durch die Verbreitung ballistischer Raketen". Gemeint waren Bedrohungen aus Iran und anderswoher im Nahen Osten. Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Raketenabwehr hingegen vielfach als Akt der Feindseligkeit gebrandmarkt, der gegen sein Land gerichtet sei. Das "Streben nach absolutem Triumph sehen Sie auch an den amerikanischen Plänen zur Raketenabwehr", sagte er im Januar der Bild-Zeitung.

Derlei Vorwürfe aus Moskau weist die Allianz zurück. "Die Nato-Raketenabwehr hat nichts mit Russland zu tun", versichert Nato-Sprecherin Oana Lungescu. Das System sei nicht gegen Russland gerichtet und werde die strategischen Abschreckungsfähigkeiten Russlands nicht unterminieren. "Geografie und Physik machen es unmöglich, dass das Nato-System interkontinentale ballistische Raketen von den Stützpunkten in Rumänien oder Polen aus abschießt", sagt Lungescu. Das habe man der russischen Seite viele Male versucht klarzumachen und auch eine Zusammenarbeit bei der Raketenabwehr angeboten. Gespräche, die Bedenken in Moskau zerstreuen sollten, gab es. Sie wurden von Russland allerdings 2013 abgebrochen.

"Die Iraner vergrößern ihre Kapazitäten, und wir müssen einen Schritt voraus sein", sagt Robert Bell, Vertreter von US-Verteidigungsminister Ashton Carter in Brüssel. Auch er versichert, die Raketenabwehr richte sich nicht gegen Russland. Das Programm ist ein alter Zankapfel zwischen der Nato und Moskau. Es gehört aber zu jenen Aktivitäten der westlichen Allianz, die nichts mit der Kehrtwende von 2014 zu tun haben. Als Reaktion auf die Annexion der Krim und den von Russland befeuerten Krieg im Osten der Ukraine hatte die Allianz die praktische Zusammenarbeit mit Russland eingestellt und sich wieder auf Abschreckung in Richtung Osten besonnen. Von südlichen Nato-Staaten wurde das zwar mitgetragen. Sie mahnten aber auch, die Bedrohungen aus anderen Himmelsrichtungen nicht zu vernachlässigen. Der Gipfel demnächst in Warschau soll sich da auch, aber eben nicht nur, um den Schutz der östlichen Bündnispartner vor einer möglichen russischen Aggression drehen. Das Thema Raketenabwehr wird weit oben auf der Agenda stehen.

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Quelle:
SZ vom 12.05.2016
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