Süddeutsche Zeitung

Nato:Allianz in Sorge

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Russland hat Berichten zufolge neue Mittelstreckenraketen stationiert. Das lässt Debatten aus der Zeit des Kalten Kriegs wieder aufleben.

Von Daniel Brössler und Julian Hans, Moskau

Berichte über die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Russland beunruhigen die Nato und lassen Debatten aus der Zeit des Kalten Krieges über Nachrüstung in Europa wieder aufleben. Regierungsvertreter in Washington sagten der New York Times , Russland verfüge bereits über zwei Verbände der verbotenen Marschflugkörper vom Typ SSC-8. Einer befinde sich noch auf dem Versuchsgelände Kapustin Jar etwa 100 Kilometer außerhalb von Wolgograd in der russischen Steppe. Der andere sei an einen unbekannten Ort verlegt worden.

Laut "New York Times" diskutiert das Pentagon nun über die geeignete Reaktion

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von einer "ernsten Sorge für die Allianz". Alle Länder in der Nato hätten "ein Interesse daran, dass der INF-Vertrag eingehalten wird", sagte auch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

Ronald Reagan und Michail Gorbatschow hatten sich 1987 darauf geeinigt, alle landgestützten Nuklearraketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern zu vernichten und keine neuen zu bauen oder zu entwickeln. Das Verbot erstreckt sich auch auf Abschussvorrichtungen für diesen Waffentyp.

Der INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces) war seinerzeit ein Meilenstein in den Abrüstungsverhandlungen zwischen den Supermächten. Er beendete den Rüstungswettlauf in Europa, bei dem Deutschland als Antwort auf die Stationierung sowjetischer SS-20-Mittelstreckenraketen 1979 im Nato-Doppelbeschluss der Stationierung amerikanischer Pershing II-Raketen zustimmte. Die letzte von insgesamt 2692 Raketen und Marschflugkörpern beider Seiten wurde 1991 demontiert.

Bereits 2014 hatte die Regierung von US-Präsident Barack Obama den Test einer neuen Mittelstreckenrakete in Russland beanstandet. Im vergangenen November beriefen die Amerikaner ein Treffen einer gemeinsamen Kommission ein, die die Einhaltung des Abkommens überwachen soll. Moskau indes wirft den USA vor, zuerst gegen das Abkommen verstoßen zu haben, da bei Tests für das Raketenabwehrsystem Aegis Ashore Startvorrichtungen benutzt würden, die sich auch für den Start von Mittelstreckenraketen eignen.

Mittelstreckenraketen wurden als besonderes Risiko für Europa betrachtet, weil sie im Vergleich zu Interkontinentalraketen nur eine kurze Vorwarnzeit haben. Russlands Präsident Wladimir Putin nannte den INF-Vertrag 2013 "zumindest diskussionswürdig", Russlands Nachbarländer entwickelten alle solche Waffensysteme. Laut der New York Times wird nun im Pentagon über die geeignete Reaktion auf die neue Bedrohung diskutiert. Im Gespräch seien eine Verstärkung der Raketenabwehrsysteme in Europa oder die Entwicklung von luft- oder seegestützten Marschflugkörpern.

Der Nato-Raketenschild in Europa ist einer der ständigen Kritikpunkte Moskaus. Aus Sicht der russischen Führung bringt er das militärische Gleichgewicht durcheinander, da er der Nato einen Erstschlag gegen Russland ermöglichen könnte, ohne einen Gegenschlag befürchten zu müssen. In einer 2008 angestoßenen Reform der Streitkräfte plant Moskau bis 2020 Ausgaben von 720 Milliarden Dollar, um 70 Prozent seiner Waffen auf neuesten Stand zu bringen.

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SZ vom 16.02.2017
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