Süddeutsche Zeitung

Naher Osten:Brücke wider Willen

Lesezeit: 3 min

In der Corona-Krise werden plötzlich Dinge möglich, die vorher unmöglich schienen: In Israel landen Flieger aus den Golfstaaten mit Hilfe für die Palästinenser - was diese erst mal gar nicht freut.

Von Dunja Ramadan, Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv/München

Bevor die Etihad-Maschine den Flughafen Abu Dhabi Mitte Mai in ungewohnter Richtung verlässt, winken Mitarbeiter geschäftig die Hilfspakete weiter. Mit Mundschutz stehen sie auf dem Rollfeld und verladen 14 Tonnen medizinischer Güter inklusive zehn Beatmungsgeräten. Auf ihrer Weste steht "UAE Aid". Die Botschaft dieser Bilder, die auf Twitter landen: Wir, die Vereinigten Arabischen Emirate, schicken während der Coronakrise Hilfspakete an die Palästinenser.

Das geht auf dem schnellsten Weg über den israelischen Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv. Das Problem: Offiziell erkennen die Herrscher am Golf Israel nicht an. Doch in der Coronakrise machen sie eine Ausnahme. Für die Palästinenser, sagen die Emiratis. Ein Fortschritt und ein Zeichen für die "Normalisierung" der Beziehungen zu den arabischen Staaten, sagen die Israelis. Und so landet zum ersten Mal ein Flugzeug aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) in Israel - und die Bilder davon im Netz. Der israelische UN-Botschafter Danny Danon klingt auf Twitter besonders optimistisch: "Hoffentlich sehen wir bald auch Passagierflüge."

Bei den Adressaten dieser "humanitären Diplomatie" in Coronazeiten kommt diese Botschaft aber gar nicht so gut an. Die Palästinenser lehnen die Hilfspakete aus Abu Dhabi ab. Ministerpräsident Muhammad Staje sagte im regierungsnahen Blatt Al Ajjam: "Wir erfuhren von der Hilfslieferung aus der Zeitung. Sie war weder mit uns noch unserem Botschafter koordiniert worden." Weitere palästinensische Vertreter erklärten, sie wollten keine Brücke für Beziehungen arabischer Länder zu Israel sein. Das Verhältnis zwischen der palästinensischen Führung in Ramallah zu Abu Dhabi ist auch deshalb unterkühlt, weil in den Emiraten Mohammed Dahlan Unterschlupf gefunden hat, ein Rivale von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.

Israel und arabische Staaten nähern sich zunehmend an

Zuvor hatte Abu Dhabi der israelischen Regierung bereits Hilfe angedient. Als zwei Dutzend Israelis mitten in der Coronakrise in Marokko strandeten, boten die Vereinigten Arabischen Emirate an, sie auszufliegen. Marokko unterhält keine diplomatischen Beziehungen zu Israel, demnach dürfen israelische Flugunternehmen nicht landen. Als die Regierung in Rabat von der heimlichen Absprache erfuhr, blockierte sie den Plan. Erst drei Monate später konnten die gestrandeten Israelis mit Air France nach Paris fliegen, von dort ging es für sie weiter nach Tel Aviv.

Die Geste der Emirate zeigt erneut, wie sich Israel und einige arabische Staaten zunehmend annähern - und beide Seiten dabei immer selbstbewusster auftreten. Lana Nusseibeh, Botschafterin der VAE bei den Vereinten Nationen, plädierte Anfang Mai in einer Online-Konferenz des American Jewish Committee dafür, den öffentlichen Gesundheitssektor als "unpolitisierten Raum zu sehen, in dem wir alle versuchen, unser Wissen über dieses Virus zu bündeln".

Laut dem Sheba Medical Center in Tel Aviv gab es in den vergangenen Wochen bereits einen regen Austausch mit Vertretern von Bahrain und den VAE. Es soll auch Kontakte mit Kuwait gegeben haben, wozu es aber weder Bestätigung noch Dementi gibt. Israel hat die Pandemie vergleichsweise gut bewältigt, auch wenn es in den vergangenen Tagen wieder einen starken Anstieg an Neuinfektionen gab, was zur neuerlichen Schließung von 92 Schulen führte. In den VAE ist die Zahl der Infizierten etwa doppelt und in Bahrain mehr als drei Mal so hoch. Im Tel Aviver Krankenhaus wird eine "wachsende Bereitschaft der Golfstaaten, im Gesundheitsbereich mit Israel zu kooperieren" konstatiert.

Sogar Erzfeind Katar benahm sich während der Krise israelfreundlich

Die Bande für den während der Coronakrise intensivierten Austausch sollen vergangenen Juni geknüpft worden sein. Zur Teilnahme an dem von Jared Kushner, Donald Trumps Schwiegersohn und Nahost-Verhandler, organisierten Gipfel "Peace to Prosperity" ließ die Regierung in Bahrain erstmals auch Israelis einreisen. Kushner stellte damals die wirtschaftlichen Aspekte des US-Nahostplans vor, der die Palästinenser zu einem Abtreten von Gebieten an die Israelis bewegen sollte. Mit dabei in Manama war Yitshak Kreiss, der Generaldirektor des Sheba Medical Center, über das nun die Kontakte liefen.

Sogar Erzfeind Katar benahm sich während der Krise ungewohnt israelfreundlich. So verteilte die Fluglinie Qatar Airways aus PR-Gründen Freiflüge für Beschäftigte im Gesundheitswesen. Auch Israelis seien berechtigt, sich für die Tickets zu bewerben, sagte die Fluggesellschaft. "Es gibt keinen Unterschied, keine Barriere in medizinischen Bereichen", sagte Akbar Al Baker, Geschäftsführer der Fluggesellschaft, zum Sender CNN.

Wie unpolitisch die Zusammenarbeit im Gesundheitssektor zwischen Israel und den Golfstaaten über die Pandemie hinaus sein kann, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu will von Juli an Teile des Westjordanlandes und das Jordantal annektieren. Zwar verurteilt die Arabischen Liga die Pläne. Doch die jüngsten Annäherungsversuche lassen abseits der Rhetorik andere Interpretation zu. So handeln die Golfstaaten nicht nur pragmatisch und reagieren auf Druck der Amerikaner. Ihre Vertreter lassen auch eine Verhandlungsmüdigkeit mit der palästinensischen Führung durchscheinen.

Genau darauf setzt Israel: Uzi Dayan, der frühere Chef des nationalen Sicherheitsrates in Israel, sieht die arabischen Staaten "nicht mehr so stark an dem palästinensischen Thema interessiert wie noch vor ein paar Jahren". Sie hätten nicht zuletzt wegen der Coronakrise eigene Probleme. Außerdem verbinde viele arabische Staaten mit Israel der Kampf gegen Terrorismus und Iran, sagte er im Gespräch mit Journalisten. Auch deshalb sei der Zeitpunkt gut, den US-Plan umzusetzen.

Die am Airport Ben Gurion gelandeten medizinischen Hilfsgüter der VAE wurden inzwischen vom Mitarbeitern des Sonderkoordinators der Vereinten Nationen, Nikolaj Mladenow, in Empfang genommen. Als Spende im Rahmen des UN-Hilfsprogramms sind die Palästinenser auch bereit, sie anzunehmen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4928013
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.06.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.