Süddeutsche Zeitung

Nach islamistischen Anschlägen:Premier Valls spricht von "Apartheid" in Frankreich

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Als vor knapp zwei Wochen zwei islamistische Attentäter die Redaktion von Charlie Hebdo stürmten, hat das Selbstverständnis der Franzosen einen gewaltigen Riss bekommen. Wie konnte es im Land von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" zu solch grausamen Anschlägen kommen?

Seit Tagen wird in Frankreich verstärkt über die gespaltene Gesellschaft diskutiert, und ob insbesondere die banlieues - Vorstädte mit hoher Arbeitslosigkeit und schlechtem Bildungsniveau - einen Nährboden für islamistisches Gedankengut bilden.

Premierminister Manuel Valls hat nun drastische Worte für seine Sicht der Dinge gefunden. Bei seinem Neujahrsempfang für die Presse kritisierte er nicht nur die "soziale Misere" in den Vorstadtghettos und die Diskriminierung dunkelhäutiger Franzosen. Er sagte auch, dass es in Frankreich "eine territoriale, soziale, ethnische Apartheid" gebe.

Die Probleme sind spätestens seit 2005 bekannt

Damit verglich er die Situation vieler dunkelhäutiger Franzosen - das Leben in "Ghettos", die Benachteiligung wegen Hautfarbe, Familienname oder Geschlecht - mit der Situation jener Menschen, die in der Republik Südafrika unter der Rassentrennung zu leiden hatten. Weiße und Schwarze lebten und arbeiteten räumlich streng getrennt, die schwarze Bevölkerungsmehrheit hatte kaum Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, Demonstrationen wurden gewaltsam niedergeschlagen.

Valls hat in ähnlichem Zusammenhang schon mehrmals von "Segregation" und "Apartheid" gesprochen, unter anderem in seinem 2005 erschienenen Buch "La laïcité en face".

Die vergangenen Tage hätten viele Übel der französischen Gesellschaft und die Herausforderungen deutlich gemacht, sagte Valls. Er gab aber auch zu, dass die Probleme schon länger bekannt seien. Tatsächlich wurde schon nach den Krawallen in vielen französischen Vorstädten im Jahr 2005 über dieselben Themen diskutiert.

Der französische Rassismusforscher Michel Wieviorka sagte 2006 zur SZ, die republikanischen Institutionen befänden sich in einer ernsthaften Krise: "In unseren Schulen herrscht Apartheid."

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