Süddeutsche Zeitung

Mindestlohn:Glossar der Geizhälse

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Die britische Regierung prangert Chefs an, die zu wenig Lohn zahlen. Auf dieser öffentlich gemachten Liste findet sich so mancher Brite, dem alles andere als ein Armutsrisiko zuzuschreiben ist.

Von Björn Finke

Die Ländereien von Belvoir Castle, einem schmucken Schloss in der Nähe der Stadt Nottingham, sind 65 Quadratkilometer groß. Das meiste ist Ackerland, aber es gibt auch Wälder. Paare können auf der Burg ihre Trauung feiern, für Waffenfreunde veranstaltet die Schlossverwaltung Fasan- und Rebhuhnjagden. Belvoir ist der Familiensitz des elften Duke of Rutland, eines Adeligen, dessen Vermögen auf fast 200 Millionen Euro geschätzt wird. Genug Geld ist also da: Trotzdem zahlte die Schlossverwaltung 57 ihrer Angestellten nicht den staatlichen Mindestlohn von 6,50 Pfund.

Belvoir steht auf einer Liste von 75 Arbeitgebern, die zuletzt gegen das Mindestlohn-Gesetz verstoßen haben. Die britische Regierung veröffentlicht alle paar Wochen, welche Unternehmen vom zuständigen Finanzministerium zu einer Nachzahlung plus Strafe verdonnert wurden. Seit zwei Jahren wird dieses Register der Missetäter geführt, 285 Firmen stellte es in der Zeit als Ausbeuter bloß. Das Prinzip name and shame (benennen und blamieren) solle der Abschreckung dienen, teilt die Regierung mit. Im Mittelalter gab es für so etwas den Pranger.

In Deutschland kontrolliert der Zoll, ob Chefs den Mindestlohn zahlen. Im ersten Halbjahr wurden gegen 146 Betriebe Ermittlungen eingeleitet. Ihnen droht ein Bußgeld, aber der Zoll verschickt keine Listen mit überführten Geizhälsen an die Presse. Eine Sprecherin der Schlossverwaltung von Belvoir sagte, die Unregelmäßigkeiten bei den Löhnen seien inzwischen geklärt worden, jetzt halte man sich an die Vorschriften. Insgesamt hatte das Management den 57 Beschäftigten 4070,25 Pfund zu wenig gezahlt, heißt es in der Aufstellung der Regierung.

Gut vertreten auf der Liste der Schande sind immer Friseure und Gastronomen. Neben Belvoir finden sich etwa in der jüngsten Zusammenstellung Bibas Hair & Beauty aus London (zwei Mitarbeiter bekommen noch 7204,79 Pfund), Gourmet Coffee aus Liverpool (einer erhält 367,20 Pfund) und das Joomla Balti House aus Market Rasen in Lincolnshire (ein Geschädigter, 101,97 Pfund). In Deutschland nimmt der Zoll vor allem Baufirmen unter die Lupe. Friseure müssen erst seit diesem Wochenende den Mindestlohn von 8,50 Euro zahlen.

In Großbritannien könnte die Zahl der Verstöße demnächst noch kräftig zulegen, denn London hebt den Mindestlohn drastisch an. Er soll bis zum Jahr 2020 schrittweise um mehr als ein Drittel steigen, auf neun Pfund für Beschäftigte, die älter als 25 Jahre sind. Das sind dann umgerechnet 12,50 Euro. Die Behörden würden das "konsequent durchsetzen", sagte Wirtschafts-Staatssekretär Nick Boles bei der Vorstellung der Missetäter-Liste.

Zugleich streicht die britische Regierung allerdings die Sozialleistungen für Geringverdiener zusammen - die Unternehmen sollen also mit höheren Gehältern die Sparpolitik der Konservativen ein wenig abfedern. Kneipen-Besitzer, Pflegedienste und Kommunen warnen bereits, dies sei für viele Arbeitgeber eine zu große Belastung. Zahlreichen Betrieben drohe das Aus.

Manche Chefs werden sicherlich versuchen zu tricksen - ihnen droht dann erst einmal ein Eintrag auf der Liste der Geizhälse.

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SZ vom 03.08.2015
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