Süddeutsche Zeitung

Midterms in den USA:Unsere Gruppe gegen eure

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Bei den Midterms geht es nicht mehr um Inhalte oder Überzeugungen. Es geht um Identität - bei den Republikanern wie bei den Demokraten.

Kommentar von Alan Cassidy, Washington

Wie hässlich der Wahlkampf in den Vereinigten Staaten von Amerika war, konnte man in einer der schönsten Ecken dieses Landes sehen. In den Vororten von Washington beginnt der 10. Wahlkreis von Virginia, er zieht sich hinaus aufs Land, wo Städter an den Wochenenden Äpfel und Pfirsiche pflücken und auf prächtigen Weingütern Chardonnay trinken. Die Gegend zählt zu den reichsten der USA; die Menschen leben in großen Häusern, die auf sehr großen Grundstücken stehen.

Die Frau, die diese Menschen im Repräsentantenhaus vertritt, heißt Barbara Comstock. Sie gehörte einmal zu den gemäßigten Republikanern; ihre Themen waren die Frauenförderung und die Ansiedlung von Unternehmen in der Region. Im Wahlkampf aber hatte die bislang stets höfliche Republikanerin ein anderes Thema: MS-13, eine gewalttätige Gang aus Zentralamerika. Sie klang nun, als befinde sich ihr Wahlkreis im Belagerungszustand, bedroht von braunhäutigen Kriminellen. Comstocks Botschaft an die Wähler lautete schlicht: Fürchtet euch!

Republikaner und Demokraten haben sich vor den Midterm-Wahlen einen Kampf um die Sitze im Senat und im Repräsentantenhaus geliefert, in dem es nicht um die Wirtschaft ging oder um Steuersenkungen, nicht um die Infrastruktur und den Staatshaushalt, nicht um reale Probleme mit der Kriminalität. Längst sind Inhalte oder Grundüberzeugungen Nebensache in der politischen Auseinandersetzung in den USA.

Der republikanische Lärm um Migration lenkt ab

Wenn an diesem Dienstag die Wähler von Alaska bis New Mexico, von Maine bis Kalifornien abstimmen, geht es vor allem um Fragen der Identität: Unsere Gruppe gegen eure. Sag mir, wer du bist, und ich sage dir, wen du wählst. Jung, weiblich, farbig, schwul: eine Stimme für die Demokraten. Alt, männlich, weiß: eine Stimme für die Republikaner.

Unsere Gruppe gegen eure: Im Fall der Republikaner ist klar, was damit gemeint ist. Niemand trägt mehr dazu bei als Donald Trump selber, der seine hasserfüllte und rassistisch angehauchte Rhetorik gegen Migranten in den letzten Tagen des Wahlkampfs noch einmal gesteigert hat. Der Lärm lenkt davon ab, dass die Republikaner ein Problem haben: Entscheidende Punkte ihrer Politik sind bei sehr vielen Wählern unbeliebt. Das betrifft die große Steuersenkung, welche die Partei durch den Kongress gebracht hat; das betrifft aber auch die Gesundheitsversorgung. Deshalb redet die Partei lieber über Einwanderer, Kriminelle und Terroristen, die Amerika angeblich bedrohen.

Die Kandidaten der Republikaner, die diese Botschaft überbringen, sind dabei auffällig homogen. In den 36 Gouverneurswahlen treten die Republikaner mit 30 weißen Männern an; nur wenige Frauen kandidieren für den Kongress. Anders als früher hat diesmal die Partei gar nicht ernsthaft versucht, die Zahl der Latino-Kandidaten zu erhöhen. Weiße Kandidaten für eine weiße Wählerschaft: So ließe sich diese Strategie auch beschreiben.

Doch auch bei den Demokraten geht es mittlerweile mehr um Identität als um Inhalte. Sie treten mit so vielen Frauen zur Wahl an wie noch nie; noch nie gab es so viele schwarze und LGBT-Kandidaten. Am 6. November werden die Demokraten viele Premieren feiern: die erste Muslimin im Kongress, die erste Indigene, die erste Transgender-Frau als Gouverneurin, vielleicht sogar die erste schwarze Frau, die einen der Südstaaten regiert. Viele Kandidaten haben ihre Identität - als Frau, als Einwanderer, als Angehörige einer Minderheit - zum Kern ihrer Kampagne gemacht. Die Demokraten haben im Wahlkampf auch von der Gesundheitsvorsorge geredet.

Doch die Identitätsfrage schwang immer mit. Das Phänomen ist natürlich nicht neu. Minderheiten halten schon lange überwiegend zu den Demokraten, die Weißen wählten fast immer mehrheitlich die Republikaner. Doch zumindest rhetorisch legten beide Parteien Wert darauf, nicht eine Bevölkerungsgruppe gegen die andere ausspielen zu wollen: Es ging ums ganze Land, um die Heimat aller Amerikaner. Nun aber betreiben Republikaner und Demokraten zwei unterschiedliche Spielarten dessen, was die Amerikaner Identitätspolitik nennen: den offenen Appell an das Gefühl bestimmter Gesellschaftsgruppen, an ihre Angst, zu kurz zu kommen - und die Bewirtschaftung dieses Gefühls durch die Politik. Die anderen wollen uns das Land nehmen, heißt nun das Narrativ; dabei gehören die doch gar nicht dazu.

Beide Parteien gehen dabei eine Wette ein. Die Wette der Demokraten besteht darin, bewusst auf die Mobilisierung von Minderheiten zu setzen, die normalerweise seltener zur Wahl gehen. Die Republikaner hoffen, mit der schrumpfenden, aber motivierten Wählergruppe, die 2016 Donald Trump ins Weiße Haus brachte, nun auch die Mehrheit im Kongress zu retten. Die Zersplitterung der Vereinigten Staaten und das Ende einer Politik, die Probleme lösen will - das ist bei beiden Wetten der Preis.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2018
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