Süddeutsche Zeitung

Rede in Straßburg:So kann Merkel die EU stark machen

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Die Kanzlerin spricht heute vor dem Europaparlament. Sie muss dort eine Wegweisung für den kommenden Europawahlkampf geben - denn dieser Wahlkampf braucht Visionen.

Kommentar von Heribert Prantl

Von Helmut Schmidt wird gern der Satz zitiert, dass zum Arzt gehen soll, wer Visionen hat. Bei Europa ist es umgekehrt: Wenn es da keine Visionen gibt, muss Europa zum Arzt.

Eine Vision ist mehr als ein Antidepressivum; sie ist ein Elixier. Die Menschen müssen erfahren, erleben und erspüren, dass Europa ihr Leben nicht schwerer, sondern leichter macht. Sie müssen erfahren, erleben und erspüren, dass Europa die Probleme anpackt, die ein einzelner Staat nicht mehr lösen kann. Und die Menschen müssen vor allem erfahren, erleben und erspüren, dass Europa nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch und vor allem eine soziale Angelegenheit ist.

Das ist die Wegweisung, die Angela Merkel heute vor dem Europäischen Parlament zum Auftakt des Europawahlkampfs geben muss. Dann kann, dann wird es gelingen, neu für Europa zu begeistern. Nur wer selbst begeistert ist, kann andere begeistern. Das gilt auch für die Europapolitik, das gilt für den bevorstehenden Wahlkampf. Die kommende Europawahl im Mai 2019 muss die Antwort geben auf die neuen Nationalismen und die neuen Aggressivpopulismen.

Der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat soeben auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel bekannt: "Das Soziale ist kein europäisches Beiwerk, das ist das Herz der Union." Europa braucht eine Transnationalisierung der Demokratie; und es braucht eine Transnationalisierung der sozialstaatlichen Grundgarantien. Demokratie und Sozialstaat gehören zusammen. Sozialpolitik ist kein Annex des Ökonomischen; erst eine gute Sozialpolitik (eine europäische Arbeitslosenversicherung gehört dazu) macht aus einer etwas sperrigen EU eine Schutzgemeinschaft für die Menschen - also eine Heimat.

Es ist keine Kunst, Europa zu kritisieren. Europa hat Fehler, Europa macht Fehler. Aber Europa ist mehr als die Summe seiner Fehler. Und der neue Nationalismus, der in der EU um sich greift, ist ein einziger Fehler. Der national-populistische Extremismus macht Europa kaputt. Der Europawahlkampf von Macron, Merkel und Co. muss eine leidenschaftliche, begeisternde Europapolitik entgegensetzen. Sie bleibt, hoffentlich, keine Vision.

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