Süddeutsche Zeitung

Impfgipfel:Mehr Flexibilität, weniger Scheppern

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Drei Stunden sprach Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten. Nun soll schneller geimpft werden, auch in Arztpraxen. Über eine Telefonkonferenz, die mittendrin nochmal von vorne begann.

Von Nico Fried, Berlin

Am Ende gab Angela Merkel eine Äußerung von sich, die Zuhörern wie eine Mischung aus Stoßseufzer und Versprechen vorkam. Etwas mehr als drei Stunden hatte die Kanzlerin bis dahin mit den Ministerpräsidenten geredet, nicht per Video wie sonst, sondern in einer schlichten Telefonkonferenz. Die aber war begleitet von technischen Problemen, Rückkopplungen und abgehackten Wortmeldungen. Vor allem die Stimme des saarländischen Regierungschefs Tobias Hans schepperte fast furchterregend in die Ohren der Politiker-Kollegen. Einmal musste die ganze Veranstaltung sogar unterbrochen und technisch neu eingerichtet werden. Nie wieder werde sie zu einer Telefonkonferenz bitten, so Merkel, als sie sich schließlich um kurz nach 18 Uhr von den Ministerpräsidenten verabschiedete.

Mit dem Ergebnis des sogenannten Impfgipfels zeigte sich die Kanzlerin in der anschließenden Pressekonferenz dennoch zufrieden. Weil die Impferei gegen das Coronavirus im Lande sehr zum Ärger der Bürger nur schleppend vorankommt, hatten Merkel und die Länderchefs über Möglichkeiten der Beschleunigung beraten. Eigentlich sollte die Konferenz schon am Mittwoch stattfinden. Wegen des kurzzeitigen Stopps der Impfungen mit dem Wirkstoff von Astra Zeneca musste man sich um zwei Tage verschieben. Nach der Entscheidung zugunsten des Impfstoffs "hatten wir heute die notwendige Klarheit und konnten loslegen", berichtete Merkel. Das klang fast so, als habe die Kanzlerin beschlossen, auch ihrer Sprache über das Impfen etwas mehr Dynamik verleihen zu wollen.

Nun soll alles schneller gehen. "Impfen, impfen, impfen, lautet die Devise", sagte Merkel. Zu wenig Impfstoff, zu viel Bürokratie, zu enge Regeln, zu wenig Flexibilität - so lauteten zuletzt die Vorwürfe gegen die Impfkampagne und ihre Organisation. Die Kanzlerin würdigte erst einmal die Ärzte und Helfer in den Impfzentren, die "Großartiges" leisteten. Trotzdem sollen von Ostern an auch die Hausärzte im Land mit dem Impfen beginnen können. Nicht auf Kosten der Impfzentren, sondern zusätzlich. "Es geht nicht um ein entweder oder", sagte Merkel, "sondern um ein sowohl als auch".

"Wir wollen, dass die sprichwörtliche und im übrigen auch bewährte deutsche Gründlichkeit um mehr deutsche Flexibilität ergänzt wird", sagte die Kanzlerin. Das war insofern ein bemerkenswerter Satz, weil die Kanzlerin sich damit quasi bei sich selbst bediente: Vor gut sechs Jahren, als die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kamen, stetig anwuchs, sagte Merkel in ihrer bekannten "Wir schaffen das"-Pressekonferenz am 31. August 2015 schon einmal: "Deutsche Gründlichkeit ist super, aber es wird jetzt deutsche Flexibilität gebraucht."

20 Impf-Dosen pro Woche pro Hausarztpraxis

Nun steht nicht zu erwarten, dass damit 2021 alle Probleme gelöst sind. Denn das Sowohl-als-auch beginnt mit einem deutlich kleineren "auch". Die Impfzentren erhalten weiter 2,25 Millionen Dosen pro Woche. Für die rund 50 000 Hausarztpraxen stehen nur etwas mehr als eine Million Dosen zur Verfügung - das macht pro Praxis 20 Impfdosen. In der Woche. Natürlich könnten die Praxen auch mehr impfen. "Das wollen sie auch", sagte Merkel. Doch das wird frühestens Ende April möglich sein, wenn mehr Impfstoff da ist.

Immerhin soll der bürokratische Aufwand verringert werden. Und im Beschlusspapier wurde ausdrücklich festgehalten, dass zwar die Priorisierung einzelner Bevölkerungsgruppen weiter Bestand habe, "diese aber flexibel anzuwenden ist". Und was genau heißt das, Frau Bundeskanzlerin? "Wir wollen einfach nicht, dass wenn zwei Dosen übrig sind, oder wenn jemand nicht gekommen ist, dass dann abends händeringend gesucht wird und man vielleicht belangt wird, wenn man den falschen Menschen etwas gibt", sagte Merkel. "Wenn mal ein Ehepartner mitkommt...", sagte die Kanzlerin, und unterbricht sich dann lieber selbst, wahrscheinlich um nicht zu viele Ehepartner auf die Idee zu bringen, die neue Flexibilität alsbald mal auszutesten.

Es sei eine gute Diskussion gewesen, berichtet Merkel über ihr Gespräch mit den Ministerpräsidenten. An einer Stelle allerdings, so ist später von anderer Seite zu hören, habe es doch etwas länger gehakt. Dabei ging es um die Verwendung zusätzlicher Impfdosen von Biontech, die in Hot Spots mit hohen Infektionszahlen verteilt werden sollen. Wegen ihrer Nähe zu Tschechien, wo die Infektionszahlen besonders hoch liegen, sollten ursprünglich Bayern, Sachsen und Thüringen von der Extra-Portion etwas abbekommen. Außerdem das Saarland, das an die französische Region Moselle grenzt, wo die südafrikanische Variante des Coronavirus verbreitet sein soll.

Doch diese vermeintliche Privilegierung stieß nicht auf ungeteilte Zustimmung. Markus Söder (Bayern) und Michael Kretschmer (Sachsen) warben aus naheliegenden Gründen für die Regelung. Nach Teilnehmerangaben erhielten sie Unterstützung aus Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg - zwei Grenzländer, die in naher Zukunft durchaus auch noch einen Anspruch geltend machen könnten, wenn sich die Lage ihrer Nachbarregionen in Polen und Frankreich verschärfen sollte. Sachsen-Anhalt und Niedersachsen meldeten Bedenken an. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer stimmte letztlich zu - der Grund war im Beschlusspapier nachzulesen: Anders als ursprünglich vorgeschlagen, bekommt auch Rheinland-Pfalz nun 20 000 Extra-Dosen.

Und was wird am Montag beschlossen, wenn Merkel und die Ministerpräsidenten schon wieder konferieren wollen? Eigentlich war eine Diskussion über weitere Lockerungen geplant. Doch daraus wird wohl nichts. Im Gegenteil. Die Situation gestalte sich "sehr schwierig", sagte Merkel. Die Infektionszahlen stiegen wieder exponentiell. Deshalb sei es gut, dass man am 3. März eine Notbremse für die Lockerungen vereinbart habe. Die liegt bei einem Inzidenzwert von 100 Infektionen unter 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen. "Wir werden leider auch von dieser Notbremse Gebrauch machen müssen", kündigte die Kanzlerin an. Es sei "wichtig für die Verlässlichkeit unserer Arbeit, dass wir das einhalten". Nachdem manche Ministerpräsidenten das in den vergangenen Tagen nicht ganz so streng sehen wollten, dürfte es eine lebhafte Diskussion werden - Ausgang offen.

Zwei Fragen beantwortete Merkel an diesem Freitagabend noch in aller Klarheit. "Ja, ich würde mich mit Astra Zeneca impfen lassen", sagte Merkel mit Blick auf mögliche Imageprobleme des Impfstoffs. Allerdings gelte weiter, dass sie warten wolle, bis sie an der Reihe sei. Und die zweite Frage? Am Montag wird sie mit den Ministerpräsidenten wieder per Videokonferenz sprechen. "Das scheint ja auch technisch leichter zu sein."

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