Süddeutsche Zeitung

Menschenrechte:Eine Familie im Kampf gegen die saudische Monarchie

Lesezeit: 3 min

Von Moritz Baumstieger

Die aktuellsten Bilder, die den in Saudi-Arabien in Haft sitzenden Blogger Raif Badawi zeigen, sind verwackelt und drei Jahre alt. Ein Unbekannter filmte heimlich mit dem Handy, als Badawi am 9. Januar 2015 vor einer Menschenmenge in seiner Heimatstadt Dschidda stand. Ein Mann prügelt auf Badawi mit einer Rute ein, es sind die ersten von 1000 Hieben, zu denen er wegen "Gotteslästerung" verurteilt wurde. Als der Mann fertig ist, klatscht die Menge, manche rufen "Allahu akbar", Gott ist größer. Dann wird Badawi abgeführt.

Seit die saudische Justiz Badawi auspeitschen ließ - keine 48 Stunden, nachdem Islamisten in der Pariser Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo ein Attentat auf die Meinungsfreiheit verübt hatten - ist Raif Badawi nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden. Zumindest nicht in Person: Während der Blogger wegen seiner im Netz geäußerten Meinung für zehn Jahre hinter Gefängnismauern einsitzen muss, ist sein Porträt weltweit stets dann präsent, wenn Organisationen auf das Schicksal politischer Gefangener aufmerksam machen oder Kampagnen für Glaubens- oder Meinungsfreiheit initiieren.

Darin zu sehen: Raif Badawi mit offenem Hemd und unergründlichen Blick, Raif Badawi in traditionell saudischer Kleidung, Raif Badawi als Grafik im Stile der berühmten Wahlplakate Barack Obamas. Der heute 34-Jährige ist zu einer Ikone geworden. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International haben daran ihren Anteil, weil sie sein Schicksal zum Thema machten. Ein junger Familienvater, der auf seinem Blog "Die Saudischen Liberalen" Sätze veröffentlicht hat wie "Juden, Muslime, Christen und Atheisten sind alle gleich" und dafür grausam bestraft worden ist: Ein krasseres Beispiel für ihr archaisches Rechtsverständnis konnte die saudische Monarchie nicht liefern, als die Verurteilung Badawis wegen "Beleidigung des Islam in elektronischen Kanälen".

Vor dem UN-Menschenrechtsrat ging die Frau des Bloggers den saudischen Botschafter direkt an

Der Name Badawi ist ein internationaler Markenbegriff, dazu trägt vor allem die Ehefrau des Bloggers bei. Ensaf Haidar hat Badawi 2002 geheiratet, elf Jahre später floh sie mit den drei gemeinsamen Kindern nach Kanada. Vom Städtchen Sherbrooke in Süd-Quebec aus organisiert sie seither eine Kampagne für die Begnadigung des Ehemanns, spricht auf Konferenzen, gibt Interviews, kooperiert mit Organisationen wie der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, die einen "Raif-Badawi-Award" verleiht. Mit ihrem Aktionismus ist Haidar der saudischen Regierung ein ständiges Ärgernis: Im September ging die als Gast auftretende Haidar im Genfer Menschenrechtsrat den saudischen UN-Botschafter direkt an - ein Affront. Nach ihrer Flucht aus Saudi-Arabien hat Haidar ihr Kopftuch abgelegt, mittlerweile auch die Staatsbürgerschaft: Seit dem kanadischen Nationalfeiertag am 1. Juli ist sie Staatsbürgerin der neuen Heimat.

Dass Haidar und ihre Kinder nun Kanadier sind, trug maßgeblich dazu bei, dass sich Außenministerin Chrystia Freeland zu einer Verhaftung in Saudi-Arabien äußerte. Dort hatten die Behörden Samar Badawi festgenommen, Schwägerin und Tante der kanadischen Neubürger.

Samar Badawi, die ältere Schwester von Raif, hatte schon international für Schlagzeilen gesorgt, als ihr auf Arabisch bloggender Bruder im Ausland noch unbekannt war. Im Alter von 17 Jahren floh sie in ein Frauenhaus, der Vater hatte sie 15 Jahre lang körperlich misshandelt und untersagte ihr zu heiraten. Nach Samar Badawis Flucht verklagte der Vater sie wegen "Ungehorsams". Die junge Frau versuchte im Gegenzug, ihm die Vormundschaft über sie entziehen zu lassen - nach immer noch angewandten Regeln hat bei saudischen Frauen ein männlicher Verwandter das letzte Entscheidungsrecht.

Während des langen Rechtsstreits mit ihrem Vater verbrachte Samar Badawi unter anderem zehn Monate im Gefängnis. Doch am Ende war sie die erste Frau des Landes, die eine Ehe gegen den Willen des Vaters erstritten hatte - ein Erfolg, der ihr als Motivation für noch mehr diente. Fortan engagierte sich Badawi für das Wahlrecht saudischer Frauen, 2011 brach sie ein damals noch geltendes Tabu: Sie setzte sich hinter das Steuer eines Autos und fuhr durch Dschiddah. Sie kam vor Gericht, als erste Frau wegen dieses Vergehens - und wurde zu zehn Peitschenhieben verurteilt.

Ihr Engagement brachte Samar Badawi 2012 einen von Michelle Obama und Hillary Clinton verliehenen Preis für Frauenrechtlerinnen ein, aber auch mehrere Aufenthalte in Haft. Vor zwei Jahren soll sie kurzzeitig im selben Gefängnis gesessen haben wie ihr Bruder Raif; über diesen lernte sie ihren späteren Ehemann kennen: Waleed Abu al-Khair, ein Rechtsanwalt, Menschenrechtsaktivist und Gastgeber liberaler Salons. Er war der Verteidiger ihres Bruders Raif. Mittlerweile sitzt auch der Anwalt, von dem sie inzwischen geschieden ist, in Haft - verurteilt zu 15 Jahren, unter anderem wegen "Aufwiegelns der öffentlichen Meinung".

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Quelle:
SZ vom 11.08.2018
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