Meinungsfreiheit:Erdoğan macht seine Gegner mundtot
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Von Hanna Spanhel und Markus Mayr
Etwa 2000 Strafverfahren laufen in der Türkei wegen mutmaßlicher Beleidigung des Präsidenten. Gegen Journalisten, Wissenschaftler, Oppositionelle. Auch im Ausland versucht die türkische Regierung nun immer stärker, kritische Äußerungen über Recep Tayyip Erdoğan zu unterbinden - und greift immer stärker in die Meinungs- und Kunstfreiheit ein.
Erst war da der Fall Böhmermann, gegen dessen "Schmähgedicht" der türkische Präsident mit juristischen Mitteln vorgeht. Vor wenigen Tagen nun hat Ankara bei der EU Einspruch gegen ein subventioniertes Konzertprojekt der Dresdner Sinfoniker eingelegt - in dem Stück "Aghet" geht es um die türkischen Massaker an den Armeniern Anfang des 20. Jahrhunderts. Die EU solle die Subventionen für das Projekt wieder einkassieren, so die Forderung - und die Kommission nahm prompt einen Hinweis auf das Projekt von ihren Webseiten. Nach zahlreichen Medienberichten hat sie den Link nun wieder freigeschaltet.
Orchesterchef Markus Rindt beklagte einen Angriff auf die Meinungsfreiheit: Die türkischen Behörden würden Druck auf das Ensemble und die Europäische Union ausüben. Obwohl die Konzerte ein "Zeichen der Versöhnung" seien, wie es auf der Webseite der Dresdner Sinfoniker heißt - in dem Orchester spielen türkische und armenische Musiker. Das Werk hatte bereits im vergangenen Jahr in Berlin Premiere, Ärger gab es damals noch keinen.
Und nun noch ein Fall aus Genf. Ein Foto in einer Ausstellung, das einen 15-jährigen Jungen zeigt, der während der Proteste um den Gezi-Park in Istanbul von einer Tränengasgranate der Polizei am Kopf getroffen wurde - und später an den Folgen starb. "Ich heiße Berkin Elvan. Die Polizei hat mich getötet im Auftrag des türkischen Ministerpräsidenten" (Anm. d. Red.: Präsident Erdoğan war 2013 noch Ministerpräsident), steht unter dem Bild des Schweizer Fotografen Demir Sönmez, der kurdisch-armenische Wurzeln hat.
Der Fall des Jungen hatte die Proteste in der Türkei damals weiter angefacht und zu scharfer Kritik an den Polizeimaßnahmen geführt. Nun hat die türkische Regierung die Entfernung des Fotos verlangt. Allerdings bislang erfolglos: Am Dienstag sagte der Genfer Stadtrat Guillaume Barazzone dem Schweizer Fernsehen SRF, das Bild werde weiter auf dem zentralen Platz vor dem europäischen Sitz der Vereinten Nationen gezeigt.
Der lange Arm Erdoğans, so scheint es, reicht immer weiter.
Seit dem erneuten Aufflammen des Kurdenkonflikts im vergangenen Sommer ist die Zahl der Repressionen gegen Berichterstatter in der Türkei nach oben geschnellt, inländische wie ausländische. Ulrike Gruska von Reporter ohne Grenzen erkennt einen "deutlichen Zusammenhang".
Es sei "ein verbreitetes Muster", sagt Gruska, dass Journalisten mit Terroristen gleichgesetzt würden. Wer wohlwollend über kurdische Aktivitäten oder die Bewegung des Predigers und Erdoğan-Gegners Fethullah Gülen berichte, werde vom Staatspräsidenten als Handlanger der Terroristen geschmäht und vor Gericht gezerrt.
Nachdem vor wenigen Tagen einem Reporter der Bild-Zeitung in Istanbul am Flughafen die Einreise verweigert worden war, weil sein Name auf einer Liste stehe, hat sich eine Debatte um sogenannte "schwarze Listen" entwickelt. Europaparlamentspräsident Martin Schulz sagte daraufhin der Zeitung: "Listen mit Journalistennamen haben in Demokratien nichts zu suchen."
Die Grünen haben eine Aktuelle Stunde im Bundestag zum "Umgang mit Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei" beantragt. Dabei soll es auch um die schwarzen Listen gehen. Der Deutsche Journalisten-Verband unterstützt diesen Antrag der Grünen. "Ausländische Journalisten müssen frei arbeiten können", sagt Britta Haßelmann der SZ. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen fordert, dass die Bundesregierung gemeinsam mit ihren europäischen Partnern eine deutliche Haltung gegenüber dem türkischen Präsidenten einnimmt, der die freie Presse unterdrückt.
Die türkische Regierung wehrt sich indes gegen den Verdacht, solche Listen über unliebsame Journalisten zu führen. "Es gibt keine schwarze Liste", sagte ein Regierungsvertreter, der ungenannt bleiben wollte, der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul. Wenn Reporter an der Einreise gehindert würden, "dann liegt das nicht an deren Meinung oder Berichterstattung".
Seit vergangenem Sommer müssen immer mehr ausländische Journalisten das Land verlassen oder dürfen gar nicht erst einreisen. Erst am Wochenende wurde die niederländische Journalisten Ebru Umar in der Türkei vorübergehend festgenommen, weil sie auf Twitter Kritik am Präsidenten geübt hatte. Am selben Wochenende ist einem Medienbericht zufolge in ihre Wohnung in Amsterdam eingebrochen worden. Umar vermutet demnach einen Zusammenhang.
Ulrike Gruska von Reporter ohne Grenzen bestätigt, was ob dieser Meldungen ohnehin viele vermuten: Um die Presse- und Meinungsfreiheit ist es in der Türkei nicht gut bestellt. Seit Jahren schon beobachten Gruska und ihre Kollegen die Lage in der Türkei, als "schlecht" haben sie sie eingestuft. Und: "Die Situation wird dort tatsächlich immer schlechter", sagt Gruska.
Unlängst verurteilte ein Istanbuler Gericht den Chefredakteur der regierungskritischen Tageszeitung Cumhuriyet zu einer Geldstrafe von umgerechnet 9000 Euro. Er soll in seinen Kolumnen Staatspräsident Erdoğan beleidigt haben. In einem weiteren Prozess muss sich Can Dündar gemeinsam mit einem Kollegen, dem Hauptstadt-Büroleiter Erdem Gül, wegen Spionage und Unterstützung einer Terrororganisation verantworten. Den beiden droht lebenslange Haft.
Die volle Härte der Polizeigewalt traf die türkische Tageszeitung Zaman. In ihrer letzten freien Meldung hieß es: "Die Polizei geht gegen Leser der Zeitung, die vor dem Gebäude Wache halten, mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen vor. (...) Die Polizei ist (...) in das Gebäude eingedrungen. Die Tür wurde von der Feuerwehr aufgebrochen."
Mitarbeiter veröffentlichten die Nachricht am Samstagmorgen, 5. März, um 0:49 Uhr auf der Homepage der Zeitung. Kurz danach übernahm die Polizei die Redaktion endgültig. Inzwischen sind einem Bericht des Deutsch-Türkischen Journals zufolge 150 Redaktionsmitarbeiter aufgrund "ethischer Verfehlungen" entlassen worden. Ihre im Arbeitsvertrag festgeschriebenen Rechte sind damit vollständig erloschen. "Dazu zählen unter anderem Entschädigungsansprüche sowie das Recht auf Arbeitslosengeld und kostenlose Gesundheitsversorgung", heißt es in dem Bericht.
Das harte Vorgehen des türkischen Staates gegen kritische Stimmen trifft nicht nur Journalisten. Im März wurden vier türkische Wissenschaftler festgenommen, angeblich wegen Verbreitung terroristischer Propaganda. Mehr als einen Monat lang saßen sie vorübergehend in Haft - viel zu lange und völlig unbegründet, klagten Menschenrechtsorganisationen. Vor wenigen Tagen nun begann ihr Prozess, der Staatsanwalt will die Wissenschaftler für mehrere Jahre ins Gefängnis stecken.
Der Grund für den Prozess: 1128 Intellektuelle hatten im Januar dieses Jahres eine Petition unterzeichnet, mit der sie die Operationen der türkischen Armee im Südosten des Landes kritisierten - und einen Friedensplan forderten, der kurdische Ansprüche anerkennt. "Wir werden nicht Teil dieses Verbrechens sein", stand über dem Appell. Die Wissenschaftler, die sich "Academics for Peace" nennen, forderten öffentlich ein Ende des "Massakers" in den kurdischen Provinzen und bezeichneten das Vorgehen der türkischen Regierung als "Verbrechen".
Gegen beinahe alle Unterzeichner läuft nun ein Verfahren: Wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, der kurdischen PKK. Wer die Operationen des türkischen Militärs als Massaker bezeichne, betreibe Propaganda für die Terroristen, so das Argument.
Druck auf Wissenschaftler steigt, Atmosphäre ist angespannt
Und nicht nur das. 68 Wissenschaftler wurden laut "Academics for Peace" bereits entlassen oder suspendiert, weil sie die Petition unterzeichnet haben - die Regierung hatte die türkischen Universitäten dazu aufgefordert. "Mit diesen Konsequenzen hatte keiner gerechnet", sagt Thomas Diez, der an der Universität Tübingen zur Türkei forscht. Zum Verhängnis geworden sei den Wissenschaftlern wohl vor allem, dass sie sich in ihrer Rolle als Akademiker politisch geäußert hatten. "Eine Demokratie muss das eigentlich aushalten", sagt Diez. Dass dies das Ende der kritischen Wissenschaft in der Türkei bedeute, glaubt er dennoch nicht - rein wissenschaftliche, kritische Forschung sei nach wie vor möglich, sagt der Politikprofessor. "Es kann aber durchaus sein, dass es nun - ähnlich wie bei den Journalisten - zu einer Selbstzensur kommt, weil viele Akademiker Angst vor den Folgen kritischer Äußerungen haben."
Genau das sei schon jetzt das Problem, sagt eine Wissenschaftlerin aus der Türkei, die namentlich nicht genannt werden möchte. Die Situation sei sensibel, sagt sie, man müsse aufpassen, wie man sich äußere. "Die Atmosphäre ist angespannt, es gibt immer mehr Leute, die sich mit kritischen Analysen zurückhalten", sagt sie. Von spürbaren Einschüchterungen spricht sie, davon, dass die Regierung die Universitäten unter Druck setze, Leute zu entlassen, die die Petition unterzeichnet haben. "Seit den Gezi-Protesten steigt der Druck auf Wissenschaftler immer stärker, aber so schlimm wie zurzeit war es noch nie."