Süddeutsche Zeitung

Matteo Renzi:Der "Eindringling" geht

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Von Oliver Meiler, Rom

Liebe war es nie, höchstens Leidenschaft, eine mit mehr Tiefen als Höhen. Nun ist der Flirt vorbei. Matteo Renzi, der erfolgreichste und streitbarste Sekretär des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), verlässt die Partei und wird bald eine eigene gründen: im politischen Zentrum, sozialliberal, reformerisch, europafreundlich. "Italia viva" soll die neue Partei heißen. Ihr Logo wird der ehemalige Premier wohl erst am 18. Oktober enthüllen, wenn Renzi zur "Leopolda" nach Florenz ruft, der nunmehr traditionellen Jahresversammlung jener Kreise, die in ihm eine Referenz sehen. Diesmal wird die "Leopolda" eine Gründungsfeier sein.

"Wenn eine Geschichte endet, dann endet sie eben", sagte Renzi in einem Interview der Zeitung La Repubblica. "Wir wollen Freunde bleiben, wenn das geht. Und sollte es nicht gehen: Feinde werden wir sicher nie sein."

Renzi verspricht, der neuen Regierung die Treue zu halten

30 "Renzianer" im Parlament verlassen die Fraktion des PD noch in dieser Woche, sie werden eigene Fraktionen bilden. Renzi verspricht der eben erst geborenen Regierung von Giuseppe Conte, der "Conte II" aus Cinque Stelle und Partito Democratico, "überzeugt" seine Treue; seine Minister belässt er im Kabinett. Dennoch erschüttert sein Parteiaustritt die ohnehin prekären Gewissheiten nach der Sommerkrise.

Renzi hat nun freie Hand, er könnte die neue Regierung jederzeit stürzen. Überhaupt: Der Florentiner, erst 44 Jahre alt, ist definitiv zurück. Es war auch sein Sommer. Nach dem unbedachten Bruch von Matteo Salvini mit den Fünf Sternen hatte Renzi wesentlich dazu beigetragen, dass Contes neue Regierung überhaupt entstehen konnte. Nachdem er sich jahrelang gesträubt hatte, mit den "Grillini" zu reden, öffnete er sich einer Allianz. Dieser taktische Coup veränderte die ganze Partie. "Salvini nach Hause geschickt zu haben", sagt Renzi jetzt, "gehört zu den Einträgen in meinem Lebenslauf, auf die ich besonders stolz bin." Er wolle nun in den kommenden Monaten alle Kraft dafür aufwenden, Salvini und dessen gehässigen Populismus zu bekämpfen. "Uns soll man an unserem Lächeln erkennen, nicht am Groll."

Überraschend kommt der Abschied nicht, allenfalls erstaunt der Zeitpunkt - so kurz nach der Geburt von "Conte II". Bei den Sozialdemokraten hatte man bis zuletzt gehofft, Renzi würde sich besinnen. Man erinnerte ihn daran, dass all jene, die in der Vergangenheit ihr Glück in einer Abspaltung gesucht hatten, zunächst Francesco Rutelli und später Pierluigi Bersani, bald in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwanden. In der Regel strafen die Italiener Spalter mit dem Entzug ihrer Gunst, im linken wie im rechten Lager. Renzi aber glaubt, dass ihn sein allseits anerkanntes Talent weiter tragen wird als es seine glücklosen Vorgänger geschafft haben.

Der Ex-Premier bietet moderaten Wählern eine neue Heimat

Einen politischen Markt für seine Offerte gibt es durchaus, gerade jetzt, er reicht über sein angestammtes Spielfeld hinaus. Unter dem Einfluss der verschiedenen Populismen ist die moderate Mitte nämlich insgesamt verwaist. Silvio Berlusconis bürgerliche Forza Italia? Sie dämmert dahin mit ihrem betagten Anführer, der seine Nachfolge nicht regeln will. Die Partei gehört zwar ins rechte Spektrum, doch viele Wähler von Forza Italia und wohl auch einige Dutzend ihrer Parlamentarier wollen sich nicht an Salvinis rotzig souveränistische Ultrarechte anlehnen. Renzi bietet ihnen eine neue Heimat an. Auch +Europa, die Bewegung um die ehemalige Außenministerin Emma Bonino, wäre wohl bei Renzi gut aufgehoben. Die Mitte ist allerdings ein altes Traumland der italienischen Politik: Nach dem Zerfall der lange Zeit schier allmächtigen Democrazia Cristiana haben schon viele versucht, die Kräfte im Zentrum zu sammeln - alle mit sehr mäßigem Erfolg.

Ob Matteo Renzi das schafft? Der frühere Premier fasziniert und irritiert die Italiener wie sonst nur "der andere Matteo", wie Salvini früher immer genannt wurde. Renzis Popularität ist auf 20 Prozent geschrumpft, sie steht in keinem Verhältnis zum politischen Einfluss, den er noch immer auf den Politbetrieb ausübt.

Renzi klagt, er sei wie ein "illegaler Hausbesetzer" behandelt worden

Die Frage ist nun, ob seine Umtriebigkeit am Wählermarkt den Erfolg des progressiven Lagers - dem er ja weiterhin angehört - eher vergrößert, oder ob er ihm schadet. Nicola Zingaretti, sein Nachfolger an der Spitze der Sozialdemokraten, hatte in den vergangenen Monaten mit aller Macht versucht, eine gewisse Einheit in der streitsüchtigen Partei hinzubekommen - auch mit Renzi.

Er sei immer wie ein "Eindringling" behandelt worden, sagt Renzi jetzt, sechs Jahre lang: wie ein "illegaler Hausbesetzer". Die Postkommunisten hielten den christlichsozialen Toskaner für "zu wenig links", "zu liberal". Und er konterte dann jeweils gerne, dass die Sammelpartei mit den zwei Seelen nie mehr Stimmen gewonnen habe als mit ihm: Bei den Europawahlen 2014 brachte es der PD auf 41 Prozent. Dann allerdings, bei der Parlamentswahl vor eineinhalb Jahren, stürzte er auf 18 Prozent ab, ebenfalls mit Renzi. Da war die Leidenschaft schon erkaltet.

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Quelle:
SZ vom 18.09.2019
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