Süddeutsche Zeitung

Libyen:Der Westen muss die Gewalt in Libyen stoppen

Lesezeit: 2 min

In den Flüchtlingslagern wird gefoltert und vergewaltigt, nun droht ein neuer Bürgerkrieg. Europa steht in der Pflicht, notfalls eine Friedensmission in das Land zu schicken.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Am 14. April wollen die Vereinten Nationen eine Friedenskonferenz für Libyen abhalten. Jetzt könnte ein neuer Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Fraktionen in dem nordafrikanischen Land diese Pläne zunichtemachen. Statt über eine Stabilisierung des Landes zu verhandeln, über eine Teilung der Macht, muss der UN-Sondergesandte Ghassan Salame nun versuchen, eine neue Eskalation der Kämpfe zu verhindern, die bald die Hauptstadt Tripolis erreichen könnten.

Europa sollte größtes Interesse daran haben, die Lage zu beruhigen. Denn Libyen ist nach wie vor das wichtigste Transitland für Migranten aus Afrika auf dem Weg nach Europa. In den Lagern herrschen menschenunwürdige Verhältnisse; Folter und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Schlepperbanden und Schmuggler werden so lange ihren ebenso skrupellosen wie lukrativen Geschäften nachgehen können, wie in weiten Teilen Libyens Anarchie herrscht.

Das Land ist seit der Parlamentswahl 2014 gespalten. Den Osten mit der Metropole Bengasi kontrolliert der Kriegsherr Khalifa Haftar mit seinen Milizen. In Tripolis sitzt die international anerkannte Einheitsregierung von Premierminister Fayyez al-Sarraj, der es seit ihrem Amtsantritt im März 2016 nicht gelungen ist, die Kontrolle zu übernehmen. In der Hauptstadt kann sie sich nur halten, weil einige mächtige Milizen sie stützen. Großen Teile des Westens von Libyen werden tatsächlich von lokalen Milizen beherrscht.

Europa hat den Fehler gemacht, das Land nach dem von der Nato beförderten Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 weitgehend sich selbst zu überlassen. Ins Chaos ist Libyen nicht 2011 oder 2012 gestürzt, sondern 2014. Zuletzt gab es eine heftige Konkurrenz zwischen der ehemaligen Kolonialmacht Italien und Frankreich darum, wer dort die Vermittlerrolle einnimmt. Zudem tragen rivalisierende Regionalmächte weitgehend ungehindert vom Westen einen Stellvertreter-Kampf in Libyen aus. Haftar erhält offen Unterstützung aus Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten und weniger offen von Russland, aber auch Frankreich. Die Türkei und Katar stützen seine Gegenspieler, maßgeblich islamistische Milizen aus Misrata.

Gezielte Sanktionen können der Gewalt ihre Attraktivität nehmen

Bislang haben die EU und auch der UN-Sicherheitsrat schweigend zugesehen, wie sich Haftar den Süden des Landes und wichtige Ölfelder militärisch einverleibt hat. Wenn jetzt die USA zusammen mit Frankreich, Großbritannien, Italien und den Vereinigten Arabischen Emiraten in einer gemeinsamen Erklärung drohen, jene zur Rechenschaft zu ziehen, die den Bürgerkrieg befeuern, müssen dem schnell Taten folgen.

Libyen hat anders als viele der Krisenstaaten im Nahen Osten ausreichende Ressourcen, um seine Bevölkerung versorgen zu können. Die Konflikte dort werden nicht entlang konfessioneller Trennlinien ausgetragen. Es geht maßgeblich darum, wer den Reichtum des Landes kontrolliert, vor allem das Öl. Haftar und andere Milizenführer, auch auf Seiten der Regierung, sind ungeachtet ihrer allzeit bombastischen Rhetorik weniger von Ideologie getrieben als von wirtschaftlichen Interessen.

Das ist ein Ansatzpunkt: Mit gezielten Sanktionen lassen sich zwar nicht die Konflikte beilegen, allerdings können sie die Kosten für Kriegsherren erhöhen und dem Einsatz von Gewalt seine Attraktivität nehmen. Statt heimlich die eine oder andere Seite in Libyen zu stützen, müssen nun alle ausländischen Mächte darauf dringen, die Kriegsparteien an einen Tisch zu zwingen. Und wenn es nicht anders geht, sollten die Europäer bereit sein, zusammen mit arabischen Staaten eine Friedensmission in das Land zu schicken.

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