Süddeutsche Zeitung

Westerwelle zum Libyen-Einsatz:Bedenke das Ende!

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Die Libyen-Politik der Bundesregierung war kein Fehler, sondern ein sorgfältiges Abwägen des Für und Wider. Was ist, wenn die Luftschläge den Bürgerkrieg nicht beenden? Gehen dann Bodentruppen ins Land? Deutschland hat sich mit der Entscheidung weder isoliert, noch die Bündnissolidarität gefährdet, noch tatenlos einen Diktator gewähren lassen.

Guido Westerwelle

Vor einer Woche hat der Sicherheitsrat die Resolution 1973 verabschiedet, die den Einsatz von Waffengewalt zum Schutz von Zivilisten in Libyen autorisiert. Deutschland hat sich bei der Abstimmung über die Resolution enthalten. Seitdem hagelt es Kritik nicht nur, aber besonders aus Teilen der Opposition. Ein früherer Außenminister, der so viele deutsche Soldaten wie kein Bundesaußenminister vor und nach ihm in neue Kampfeinsätze geschickt hat, hat die Enthaltung als "skandalösen Fehler" bezeichnet.

Jeder weiß, wie schwierig außenpolitische Abwägungsentscheidungen über Krieg und Frieden sind. Ich habe großen Respekt vor meinem Vorgänger Frank-Walter Steinmeier, der jenseits von Parteitaktik unser Abstimmungsverhalten öffentlich als "verständlich und nachvollziehbar" bezeichnet hat. Andere wollen in Anbetracht der zwei Landtagswahlen am Sonntag und der zwischenzeitlichen Kritik von ihrer bisherigen Haltung nichts mehr wissen. Die Kernvorwürfe der Kritik lauten: Deutschland habe sich außenpolitisch isoliert. Deutschland habe gegen die Bündnissolidarität verstoßen. Weder das eine noch das andere ist richtig.

Deutschland hat sich nicht isoliert. Weder im Sicherheitsrat, noch in der Nato, noch in der EU. Aus der EU wird sich eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten nicht an dem militärischen Einsatz in Libyen beteiligen. Die EU hat sich geschlossen auf ein humanitäres Engagement und, nicht zuletzt auf unser Drängen hin, auf eine nochmalige Verschärfung der Sanktionen gegen das Gaddafi-Regime verständigt.

Einerseits ein Militäreinsatz, andererseits noch kein umfassendes Ölembargo, um dem Diktator den Geldhahn nachhaltig abzudrehen - das passt nicht. Im Sicherheitsrat haben sich die ständigen Ratsmitglieder Russland und China enthalten, daneben Brasilien und Indien. Das heißt, mit uns: drei der vier sogenannten G-4-Staaten (Japan ist zur Zeit nicht im Sicherheitsrat), die sich seit 2004 für eine Reform der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrats einsetzen.

Bündnissolidarität nehmen wir sehr wichtig. Wir wissen, was wir der Nato verdanken. Wir haben uns bei der Neufassung des Strategischen Konzepts der Nato dafür eingesetzt, dass deren Kernverpflichtung, die gemeinsame Verteidigung nach Artikel 5, noch einmal betont wird. Ich darf daran erinnern, dass Libyen, bei aller Sorge, mit der auch wir die Situation und die Verbrechen des Gaddafi-Regimes sehen, keinen Bündnisfall nach Artikel 5 darstellt. Anders als seinerzeit Afghanistan.

Das Argument der Bündnissolidarität und der Geschlossenheit in EU und Nato wiegt schwer, aber es kann keinem Mitgliedsstaat die eigene Entscheidung über die Entsendung eigener Truppen abnehmen. Eine solche Entscheidung kann man nicht allein deswegen treffen, weil andere sie so getroffen haben. Eine solche Entscheidung muss in einer eigenen, sorgfältigen Abwägung des Für und Wider, der Risiken und Gefahren getroffen werden, einschließlich des Eskalationsrisikos. Das haben wir getan.

Die Bundesregierung hat entschieden, dass sie keine deutschen Soldaten in den Kampfeinsatz in Libyen schickt. Keiner unserer Partner war sich darüber im Unklaren, wir haben das frühzeitig unmissverständlich auf direktem Wege deutlich gemacht. Unser Stimmverhalten im Sicherheitsrat war die logische Konsequenz unserer gründlich erwogenen Abwägungsentscheidung.

Viele sehen nachträglich einen Königsweg darin, wir hätten zustimmen sollen und gleichzeitig deutlich machen, dass wir uns nicht mit deutschen Truppen am Libyen-Einsatz beteiligen. Dann hätten wir heute eine ganz andere Debatte. Ich bin überzeugt: Es ginge national und international nur noch darum, welche Fähigkeiten die Bundeswehr für den Einsatz zur Verfügung stellt und nicht mehr ob sie das tut. Es wäre nicht glaubwürdig, wenn das größte Nato-Mitglied in Europa im Sicherheitsrat erst ja zum Kampfeinsatz sagt und dann bei der konkreten Umsetzung dieser Entscheidung nicht mitmacht.

Die Menschenrechtsverletzungen des Gaddafi-Regimes sind ein großes Unrecht und lassen niemanden kalt. Der Diktator muss gehen und für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Für uns ist die Alternative zum militärischen Eingreifen nicht Tatenlosigkeit. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass der Internationale Strafgerichtshof befasst wird. Wir haben auf scharfe Sanktionen gedrängt. Wir leisten humanitäre Hilfe. Wir wollen ein Ölembargo und ein Zahlungsmoratorium, damit Gaddafi und seine Leute nicht an frisches Geld herankommen können.

Wir haben aber von Anfang an aus unserer Skepsis gegenüber einem militärischen Eingreifen keinen Hehl gemacht. Abgesehen von den zivilen Opfern, mit denen gerechnet werden musste: Was ist, wenn das Eingreifen mit Luftschlägen den Bürgerkrieg nicht beendet? Gehen dann doch noch Bodentruppen rein? Ist das Risiko der Eskalation beherrschbar? Ist die Unterstützung aus der arabischen Welt wirklich so eindeutig, wie behauptet?

Die Resolution der Arabischen Liga war es jedenfalls nicht, die Stellungnahmen aus der arabischen Welt nach Beginn der Luftschläge sind es auch nicht. Wie sieht die angekündigte Beteiligung der arabischen Welt an dem Einsatz heute denn tatsächlich aus? Besteht dann am Ende nicht doch die Gefahr des Eindrucks einer Intervention des Westens? Was heißt das für die weitere Entwicklung in der arabischen Welt, was für die Freiheitsbewegungen und Reformbestrebungen in den anderen Ländern Nordafrikas? Es gilt: Respice finem! Bedenke das Ende!

Es gilt aber auch: Roma locuta, causa finita. Der Sicherheitsrat hat entschieden, und für alle, die sich in der Abwägung für ein militärisches Eingreifen entschlossen haben, gibt es nun eine internationale Rechtsgrundlage dafür. Ich wünsche mir sehr, dass sich unsere Sorgen als unbegründet erweisen. Ich hoffe, dass es gelingt, den Schutz der Zivilbevölkerung, so wie es die Resolution vorsieht, zuverlässig zu gewährleisten.

Der vom Sicherheitsrat angeordnete Waffenstillstand ist dringlich. Wir werden uns nicht mit deutschen Soldaten an diesem Militäreinsatz beteiligen, aber wir werden das Unsere tun, damit die Ziele von Resolution 1973 erreicht werden. Keine Kampfeinsätze der Bundeswehr heißt nicht Tatenlosigkeit der Bundesregierung.

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Quelle:
SZ vom 24.03.2011
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