Joschka Fischer zum Libyen-Einsatz::Deutsche Außenpolitik - eine Farce

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Libyen ist nicht der Irak, und die Enthaltung der Bundesrepublik im UN-Sicherheitsrat war keine an Werte gebundene Außenpolitik, sondern ein skandalöser Fehler.

Joschka Fischer

Die deutsche Bundeskanzlerin fährt in der Politik gerne auf Sicht, auf sehr kurze Sicht sogar. Da kann es schon mal vorkommen, dass man sich in der Auffahrt einer Autobahn vertut und auf die falsche Fahrbahn gerät. Dies ist dann eine hochgefährliche Situation - und zwar nicht nur für einen selbst, sondern vor allem auch für viele andere. Genau dies ist der deutschen Außenpolitik in der Causa Libyen geschehen.

Den eingetretenen Schaden für Deutschland kann man heute besichtigen. Die deutsche Politik hat in den Vereinten Nationen und im Nahen Osten ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt, der Anspruch der Bundesrepublik auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat wurde soeben endgültig in die Tonne getreten, und um Europa muss einem angst und bange werden.

Die Geschlossenheit der Vetomächte und der Mehrheit des Sicherheitsrates, die Unterstützung von Arabischer Liga und der Organisation Islamischer Staaten, die Beteiligung zweier arabischer Staaten an der humanitären Militärintervention - was wollte die Bundesregierung eigentlich noch mehr, um zuzustimmen?

Was nützt denn ein laut vorgetragener Multilateralismus, was sollen all die schönen Reden über das Völkerrecht, das vom Sicherheitsrat ausgeübt wird, wenn Deutschland einer Resolution zum Schutz der libyschen Bürger vor einem brutalen Regime, das mit allen Mitteln um sein Überleben kämpft, die Zustimmung verweigert? Nichts. Leere Worte. Und das wird man sich in der Region, in der Weltorganisation und bei unseren Freunden merken.

Mir bleibt da nur die Scham für das Versagen unserer Regierung und - leider! - auch jener roten und grünen Oppositionsführer, die diesem skandalösen Fehler anfänglich auch noch Beifall spendeten. Außenpolitik heißt doch nicht, vor allem bella figura auf dem internationalen Parkett zu machen und ansonsten auf Provinzwahlen zu starren, sondern harte strategische Entscheidungen zu verantworten, selbst wenn sie in der Innenpolitik alles andere als populär sind.

Und man komme hier nicht mit der Enthaltung Russlands und Chinas. Deren Enthaltung war der Verzicht auf ihr Veto und damit de facto eine Zustimmung, die den Weg zur Intervention frei gemacht hat. Ganz anders dagegen wird Deutschlands Enthaltung gewertet: nämlich als faktisches Nein, weil es eben über kein Veto verfügt und zudem ein zentrales Mitglied von Nato und EU ist.

Ich weiß nicht, was sich der deutsche Außenminister dabei gedacht hat, als er sich zu Recht erst auf die Seite der arabischen Freiheitsrevolutionen stellte, sich später Beifall auf dem Tahrir-Platz in Kairo abholte, nachdem die Sache entschieden war, dann den Sturz Gaddafis und dessen Überstellung an den internationalen Strafgerichtshof forderte - nur um schließlich, als es im Sicherheitsrat zum Schwure kam, den Schwanz einzuziehen. Mit einer an Werte gebundenen Außenpolitik und mit deutschen und europäischen Interessen konnte das nicht viel zu tun gehabt haben.

Die Lage in Libyen sei gefährlich, man wolle nicht auf eine schiefe Ebene geraten und am Ende mit Bodentruppen in einem Bürgerkrieg enden, hieß es. Nun, wer Angst vor schiefen Ebenen hat, sollte die Bundesregierung meiden, denn dort balanciert man beständig auf mannigfachen schiefen Ebenen. Die Mission in Libyen ist riskant, die neuen Akteure vor Ort sind so unklar wie die Strategie und die Zukunft des Landes. Nur können diese Bedenken doch - angesichts der Alternative, dass Gaddafi kurz vor der blutigen Niederschlagung des Aufstandes stand und seine Macht erneut zu etablieren drohte - allen Ernstes keine Alternativen zum Handeln sein.

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