Süddeutsche Zeitung

Libanon:Zwei Fäuste kehren zurück

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Zum wiederholten Mal soll nun Saad Hariri Regierungschef des angeschlagenen Lands an der Levante werden. Die Hoffnungen vieler auf einen dringend benötigten Wandel sind auf dem Nullpunkt.

Von Moritz Baumstieger, München

Während am Donnerstagmorgen die Limousinen der Parlaments-Fraktionsführer den Hügel zum Präsidentschaftspalast hochkrochen, fuhr am Märtyrerplatz im Herzen Beiruts ein gelber Kran vor. In seinem Besprechungszimmer ließ Staatsoberhaupt Michel Aoun dann einen Spitzenpolitiker nach dem anderen vor einer antiken Statue Platz nehmen, um sich dessen Empfehlung für die Besetzung des Postens des Premierministers anzuhören. Noch bevor die Konsultationen im Palast abgeschlossen waren, hatten Arbeiter im Stadtzentrum mithilfe des Krans ein Monument des Sieges aufgerichtet: Eine gigantische Faust, 13 Meter hoch, mit der Aufschrift "Li-l-watan" - für das Vaterland.

Die Arbeiter waren von Bahaa Hariri angeheuert, dem Bruder von Ex-Premier Saad Hariri. Auf den Tag genau vor 51 Wochen war der zurückgetreten, als der vom Märtyrerplatz ausgehende Druck zu groß geworden war: Zehntausende hatten hier über Tage demonstriert und Erneuerung gefordert. Sie hatten es satt, auf ewig von der immer gleichen, als korrupt wahrgenommenen Elite regiert zu werden. Als Zeichen ihres Protestes hatten sie eine elf Meter hohe Faust auf dem Platz errichtet. "Thawra" stand auf ihr - Revolution.

Das Monument ihrer Bewegung wurde mehrmals niedergebrannt, von Schlägertrupps der schiitischen Partei und Miliz Hisbollah, zuletzt vor einer Woche von Hariris "Zukunftsbewegung". Stets hatten die Aktivisten ihr Symbol wieder aufgebaut, so auch dieses Mal. Seit Donnerstag nun ragen jedoch zwei Fäuste in den Beiruter Herbsthimmel: Das Symbol derer, die Veränderung fordern, wird vom Symbol der Beharrungskräfte überragt - um immerhin zwei Meter.

Um 12.32 Uhr nämlich teilte Staatsoberhaupt Aoun auf Twitter mit: Der Nach-Nachfolger von Saad Hariri soll Saad Hariri heißen. 65 der 120 Abgeordneten votierten dafür, dass der Milliardär eine neue Regierung bildet. Seit sein Vater Rafik Hariri, der das Land ebenfalls als Premier führte, im Jahr 2005 bei einem Attentat getötet wurde, war der heute 50-Jährige mehrmals mit einer Regierungsbildung beauftragt worden, zwei Mal gelang sie ihm. Auf jeden Rückschlag folgte ein Comeback. Zuletzt hatte der glücklose Hochschullehrer Hassan Diab als Premier übernommen, seine Regierung überlebte die verheerende Explosion vom 4. August im Beiruter Hafen jedoch nur um wenige Tage. Der Diplomat Mustapha Adib, der daraufhin eine Regierung formen sollte, scheiterte an dieser Aufgabe.

Saad Hariri bemühte sich nun zwar, zumindest etwas Aufbruchsstimmung zu verbreiten, versprach ein Expertenkabinett, das sich über den Parteienstreit erheben und Reformen vorantreiben solle. Doch schon allein das Foto, das er, Staatspräsident Aoun und der seit 28 Jahren amtierende Parlamentspräsident Nabih Berri nach dem Votum der Fraktionsführer aufnahmen, sprach Bände: Die drei Männer blicken mit leeren Augen und versteinerten Mienen in die Kamera.

Für die Bürger, die gehofft hatten, dass die Katastrophe vom August ein "Weiter so" unmöglich machen würde - wie sich in der Folge herausstellte, hatte Libanons Staatsspitze lange um die im Hafen gelagerten Gefahrengüter gewusst - fühlt sich die Nominierung Hariris an wie blanker Hohn. Er gilt ihnen als Kandidat der Banken und Kartelle, die das Land in den vergangenen Jahren systematisch geplündert haben und verantwortlich dafür sind, dass auch Armut, Arbeitslosigkeit und Inflation explodierten. "Viele haben jegliche Hoffnung auf Veränderung verloren", sagt etwa die Künstlerin Hayat Nazer der SZ, deren viel fotografierte Phoenix-Skulptur auf dem Märtyrerplatz ebenfalls von Hariris Anhängern niedergebrannt wurde. Sie hat nun ein Kunstwerk aus Trümmern und Scherben am Hafen errichtet. "Mit Macrons Initiative nach der Explosion hatten wir eine Chance", sagt sie, "doch unseren Politikern war es scheißegal. Sie haben sie einfach ignoriert."

In Paris, so sagen es zumindest diplomatische Kreise, sei mittlerweile ebenfalls Ernüchterung eingekehrt. Angesichts der Unwilligkeit oder Unfähigkeit in Beirut zu Reformen habe Präsident Emmanuel Macron den Ordner mit konkreten Reformzielen für Libanon von seinem Schreibtisch nehmen und zurück an die Fachabteilung senden lassen. Selbst eine Chefarztbehandlung könne den Patienten nicht mehr retten, heiße es angeblich im Élysée-Palast.

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